Houellebecq bekommt den Staatspreis für Europäische Literatur

Michel Houellebecq
Michel HouellebecqAPA/AFP/LIONEL BONAVENTURE
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Michel Houellebecq, als Enfant terrible beschimpfte und gefeiert, wird in Salzburg geehrt. Seine Romane prägen Varianten des bezwungenen abendländischen Mannes.

Der französische Starautor Michel Houellebecq ("Elementarteilchen", "Ausweitung der Kampfzone", "Unterwerfung") wird mit dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur ausgezeichnet, wie Kulturminister Gernot Blümel am Mittwoch verkündete. Der 63-Jährige ist einer der erfolgreichsten und international bekanntesten Schriftsteller Frankreichs - und zugleich einer der polemischsten.

Das verstörende Potenzial von Literatur

Der Staatspreis ist jedenfalls nicht als Preis für "glühende Europäer" zu verstehen: Houellebecqs Romane prägen Varianten des bezwungenen abendländischen Mannes. Europa begehe kulturellen Selbstmord, sagte Houellebecq zuletzt öfters – es steht wortwörtlich schon in seinen ersten Büchern.

Houellebecqs provokante Diagnosen würden die literarische Übertreibungskunst des 20. Jahrhunderts fortführen, begründet die Jury ihre Wahl. Und: "Die Auszeichnung gilt einem Werk, das das verstörende Potenzial von Literatur exemplarisch zeigt und weitaus komplexer ist als die medialen Debatten, die sein Autor mitangefacht hat.

Ehrung in Salzburg

Der Preis ist mit 25.000 Euro dotiert und wird am 26. Juli in Salzburg vergeben. "Er schreibt klar, kompromisslos und präzise über Themen, die unsere europäische Gesellschaft bewegen und wesentlich verändern: von politischem Radikalismus und Terror über Biotechnologie bis hin zum Traum vom ewigen Leben. Houellebecq ist ein Schriftsteller, der niemanden kalt lässt, ein Romancier, der uns bewegt und zur Auseinandersetzung zwingt", so der Kulturminister. 

Sein neuestes Buch "Serotonin" kam im Januar in den Handel. Der düstere Roman über die Hoffnungslosigkeit in ländlichen Regionen Frankreichs schien die Proteste der "Gelbwesten" vorwegzunehmen. Es ist der erste Roman des 63-Jährigen seit "Unterwerfung", der am Tag des islamistischen Anschlags auf die Satirezeitung "Charlie Hebdo" im Jänner 2015 erschienen war. In "Unterwerfung" wird ein Muslim französischer Präsident und führt islamisches Recht ein.

Der Österreichische Staatspreis für Europäische Literatur wird jährlich für das literarische Gesamtwerk eines Autors verliehen, das international besondere Beachtung gefunden hat. Zu den bisherigen Preisträgern zählen Eugène Ionesco (1970), Christa Wolf (1984), Cees Nooteboom (2003), Patrick Modiano (2012), Karl Ove Knausgard (2017) oder Zadie Smith (2018).

Die Mitglieder der Jury:

  • Benedikt Föger, Präsident des Hauptverbandes des Österreichischen Buchhandels
  • Walter Grond, Schriftsteller
  • Claudia Romeder, Leiterin des Residenz-Verlags
  • Daniela Strigl, Literaturwissenschaftlerin und -kritikerin
  • Norbert Christian Wolf, Universitätsprofessor für Neuere Deutsche Literatur an der Uni Salzburg

HOUELLEBECQS BISHERIGE ROMANE

„Extension du domaine de la lutte“ (1994, „Ausweitung der Kampfzone“), „Les particules élémentaires“ (1998, „Elementarteilchen“), „Plateforme“ (2001, „Plattform“), „La possibilité d'une île“ (2005, „Die Möglichkeit einer Insel“), „La carte et le territoire“ (2010, „Karte und Gebiet“), „Soumission“ (2015, „Unterwerfung“).

Die komplette Jurybegründung:

„Als Schöpfer eines höchst eigenwilligen literarischen Werks ist Michel Houellebecq eine der einflussreichsten Stimmen der europäischen Gegenwartsliteratur. Seine Texte verraten ein besonderes Sensorium für Fragen von gesellschaftlicher Sprengkraft, wobei er den Konjunkturen des Feuilletons stets vorausgeeilt ist – ob es um die moderne Arbeitsrealität geht, die Möglichkeiten und Gefahren der Gentechnik, die Erscheinungsformen des religiösen Fanatismus die Kehrseite der sogenannten sexuellen Revolution (ein Monopolkapitalismus des Sex) oder den Verfall des ländlichen Raumes. Die zum Teil extrem provokanten Diagnosen Houellebecqs setzen jene Übertreibungskunst fort, die in der Literatur des 20. Jahrhunderts die Grenzen zwischen Biografie und Werk, Kunst und Leben systematisch überschritten hat. Seine drastischen Plots verblüffen durch krasse Überzeichnungen, verquere Peripetien und sprachlichen (Wahn)Witz; der enttäuschte Idealismus seiner gebeutelten, lächerlichen, letztlich stets scheiternden männlichen Helden schlägt in grellen Zynismus um. Die Auszeichnung gilt einem Werk, das das verstörende Potenzial von Literatur exemplarisch zeigt und weitaus komplexer ist als die medialen Debatten, die sein Autor mitangefacht hat.“

(red.)

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