Klimaforschung: „Wir sind sowieso im falschen Film“

Hans Joachim Schellnhuber, Gründer des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung.
Hans Joachim Schellnhuber, Gründer des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung.Andreas Pein / laif / picturedesk.com
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Im Gespräch mit der „Presse“ erläutert Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber, warum die Lage ernst ist und keine Zeit für Hoffnungslosigkeit bleibt.

Die Presse: Sie haben in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften einen Vortrag über die Erderwärmung gehalten. Wie ernst ist die Lage?

Hans Joachim Schellnhuber: Hochdramatisch. Das System Erde wird quasi mit dem Schmiedehammer bearbeitet; und es wäre naiv zu glauben, dass dies ohne Folgen bleibt. Alle Zeichen deuten auf eine Beschleunigung, Verschärfung hin. Ganz anders als beim Ozonloch, wo es eine Trendumkehr gibt.

Gibt es im Klimageschehen noch Unbekannte?

Es gibt immer große Fragezeichen, aber es ist auf Basis des derzeitigen Wissensstandes nichts in Sicht, was die Erderwärmung bremsen könnte. Im Gegenteil: Vor 15 Jahren noch war die Bedeutung des Jetstreams (Starkwind, der mit einer Geschwindigkeit von mehr als 200 km/h um die Arktis zirkuliert, Anm. d. Red.) fürs Klimageschehen unbekannt. Wir entdecken nun jeden Tag Neues bei Kipp-Elementen im Klimasystem (Schlüsselfaktoren, die wesentlichen Einfluss haben, Anm.). Vor Kurzem hat eine Studie über Wolken Aufsehen erregt. Sie vertritt die These, dass Wolken über subtropischen Ozeanen bei steigender CO2-Konzentration relativ rasch verschwinden könnten, was zu einer zusätzlichen Erwärmung führen könnte. Das wird gerade heftig diskutiert.

Zweifler am menschlichen Einfluss aufs Klima behaupten, dass sich die Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre von 0,03 auf 0,04 % erhöht habe – das sei zu unerheblich, um das Klima zu beeinflussen. Und: Auch früher schon sei so viel CO2 in der Atmosphäre gewesen.

Es gibt die logarithmische Beziehung von Kohlendioxid und Temperatur. Den Zusammenhang hat bereits 1896 Svante Arrhenius (Chemie-Nobelpreis 1903, Anm.) beschrieben. Der CO2-Gehalt in der Atmosphäre hat sich von vorindustriell 280 auf heute 415 ppm (parts per million, Anm.) erhöht. Ein Zuwachs um 50 Prozent in 200 Jahren! In Eiszeiten lag die globale Durchschnittstemperatur drei Grad tiefer als heute und der CO2-Gehalt bei 180 ppm. Über 400 ppm gab es vor 2,5 Millionen, vor zwölf Millionen und vor 65 Millionen Jahren – das waren aber Entwicklungen über lange Zeiträume. Wir haben einen geologischen Zeitraffer in Gang gesetzt.

Was muss geschehen?

Wir brauchen eine Trendumkehr und eine Halbierung der CO2-Konzentration pro Dekade. Möglichkeiten zu einem Umschwenken gibt es. Ein Beispiel: Wenn alle Neubauten mit Holz errichtet würden, fiele ein Drittel der Kohlendioxid-Emissionen weg. Wir müssen uns aus der Zwangsjacke des business as usual befreien. Jetzt.

Sie haben einen Vortrag auf der Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik gehalten und sind im Gespräch mit Kanzlerin Merkel. Welchen Eindruck haben Sie von politischen Akteuren gewonnen?

Sie verstehen das Problem, sind jedoch oft in einem Käfig von Interessen, Rücksichtnahmen, Absprachen, Mehrheitsbeschaffungen. Aber es kommt auch auf die Zivilgesellschaft an, auf jeden von uns. Wir müssen der Politik den Rücken stärken, um klima- und umweltfreundliche Politik zu machen. Wenn Politiker Rückenwind haben, dann sind sie bereit, sich zu bewegen. Global ist das derzeit nicht in Sicht, nahezu jeder Staat macht eigennützige Politik. Wir rasen mit hohem Tempo auf die Wand zu, es wird ums Steuer gestritten und darum, ob wir aufs Gaspedal treten sollen oder doch auf die Bremse.

Sie sagen auch, dass aus zivilisatorischer Sicht drastische Maßnahmen zu ergreifen wären, selbst wenn CO2 überhaupt keine Auswirkung aufs Klima hätte. Warum?

Die industrielle Moderne hat viel geleistet, aber vieles ist mittlerweile pervertiert. Wollen wir diese industrielle Landwirtschaft? Wollen wir diese Tierhaltung? Wollen wir die immer heftiger werdende Kluft zwischen Arm und Reich? Halten wir diese überzogene individuelle Mobilität aus? Wir sind sowieso im falschen Film.

>>> Zur Studie von Svante Arrhenius

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2019)

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