Das Niveau der Reifeprüfung ist bewundernswert hoch

Die Presse
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Wer meint, dass man in unseren höheren Schulen zu wenig lerne, kennt sie nicht. Den kulturellen Bereichen aber könnte mehr Mut zur Freiheit nutzen.

Hier die Reifeprüfung, dort ein schlichter Abgang: Schon der Vergleich der Wortinhalte zwischen dem deutschen Abitur und unserer Matura zeigt, wie sehr mit Bedeutung aufgeladen dieser Abschluss der sekundären Schulausbildung in Österreich traditionell ist. Negativ aufgeladen, mit Versagensangst und Bangen, siehe Torbergs „Schüler Gerber“. Aber auch positiv: Die Idee, sich mit umfassender Allgemeinbildung als reif zu erweisen, als fähig, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen, ist humanistisch im besten Sinn.

Fünf Jahre nach Einführung der Zentralmatura kann man sagen: Besonders die – etwas gar bescheiden als „vorwissenschaftlich“ betitelte – Facharbeit hat dieses edle Konzept noch bereichert. Und, bei aller Kritik an Details, man darf auch einmal ziemlich stolz sein: auf das hohe Niveau der Schulen, Schülerinnen und Schüler. Man nehme nur die heurige Mathematikmatura. Schon für die Aufgaben des ersten, leichteren Teils brauchte man wirkliches Verständnis, etwa für Exponential- und Polynomfunktionen; mit bloß eingelernten Rechenschemen – die, der Autor spricht da aus eigener Erfahrung, früher manchmal reichten, siehe Kurvendiskussion nach Schema F – ging das nicht. Und der zweite Teil . . . Nun ja, versuchen Sie es einmal. Sie finden einen Link auf unserer Homepage (im Ressort Bildung).

Ähnlich bewundernswert ist das Niveau in den früher dummerweise als „Nebenfächer“ unterschätzten Gegenständen, vor allem den naturwissenschaftlichen. Die seit Jahrzehnten schwelende Debatte über „Lehrplanentrümpelung“ (man verzeihe das blöde, bildungsfeindliche Wort) täuscht: Eine solche hat nie stattgefunden. In Biologie, Chemie, Physik etwa lernt man in den Gymnasien heute mehr Fakten als früher (was schon einmal daran liegt, dass man heute mehr weiß als früher), selbstständige Projektarbeiten haben das Lernen von Fakten nicht verdrängt, sondern sind dazugekommen. Wer das bezweifelt – etwa, weil er keinen Kontakt mit Jugendlichen hat –, soll nur irgendein aktuelles Lehrbuch auf irgendeiner Seite aufschlagen: von Fotosynthese über Veresterung bis zur Relativitätstheorie, da wird einiges geboten. Und genau abgeprüft, nicht nur mündlich, sondern auch – was früher seltener war – in schriftlichen Tests.

Die Dichte an schriftlichen und mündlichen Prüfungen unterm Schuljahr ist bisweilen dramatisch hoch, der Stress ist groß. Und das ist eine der Ursachen dafür, dass das Niveau in manchen Gebieten doch gesunken zu sein scheint. In den kulturellen, künstlerischen, literarischen nämlich, für die man etwas Muße braucht, den Geist etwas freier schweifen lassen muss. Dass „die jungen Leute“ heute weniger ins Theater und Konzert gehen, weniger Romane lesen, weniger selbst künstlerisch aktiv sind, liegt durchaus nicht nur an einer angeblichen Kulturfaulheit – und nein, auch nicht an den Bildschirmen und Handys –, sondern oft daran, dass sie schlicht zu wenig freie Zeit haben.

Ihnen in diesem Sinn behutsam ein wenig Druck zu nehmen, Freiraum zum Wählen und Grübeln zu geben wäre schön. Ja, das heißt auch, dass manches Faktenwissen weniger streng geprüft werden sollte. Nur ein Beispiel: Jeder sollte verstehen, wie Evolution funktioniert, und wissen, in welcher chemischen Verbindung die Erbinformation gespeichert ist. Aber nicht jeder muss – das schreibt hier ein bekennender Chemiker! – den Mechanismus der DNA-Replikation im Detail kennen.

Dass mehr Mut zur Freiheit gut täte, gilt auch für die Deutschmatura, und zwar geradezu exemplarisch. Das enge Korsett, in das die Aufsätze da gepresst werden, einem skurrilen Konzept von „Textsorten“ gehorchend, nimmt den Atem; wenn – zu einem Thema über die Macht der Sprache! – von „Arbeitsaufträgen“ die Rede ist, wird einem ganz zackig zumute. Und die Aufgabenstellung bei der Literaturinterpretation klingt so gar nicht, als ob man den Maturanten zutraute, sich ihres Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen . . . Hier, also in einem ureigenen Bereich der humanistischen Bildung, sollte mehr humanistischer Geist wehen. Vor und bei der Matura. Danach übrigens auch.

E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

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