„Nur eine Frau“: Ermordet vom jüngsten Bruder

Mit 15 wird Aynur (Almila Bagriacik) mit ihrem Cousin in der Türkei verheiratet. Als dieser sie verprügelt, kehrt sie hochschwanger zurück.
Mit 15 wird Aynur (Almila Bagriacik) mit ihrem Cousin in der Türkei verheiratet. Als dieser sie verprügelt, kehrt sie hochschwanger zurück.(c) Filmladen
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2005 wurde die 23-jährige Hatun Sürücu in Berlin Tempelhof auf offener Straße erschossen: ein „Ehrenmord“. Der Film „Nur eine Frau“ erzählt ihre Geschichte und klagt an. Er sollte nicht im Kino bleiben, er gehört in die Schulen.

Aynur heißt sie hier, und Nuri heißt ihr Mörder. Aynur spricht aus dem Grab, sie ist bereits durch Kopfschüsse gestorben in diesem Film; und doch sieht der Zuschauer ihre letzten Lebensjahre bis zu ihrem Ende vorüberziehen, zielstrebig und zornig von der Toten erzählt und kommentiert. Aynur, eigentlich Hatun, gehört zu jenem Dutzend Frauen, das laut einer Studie des deutschen Bundeskriminalamtes pro Jahr im Kontext patriarchalisch geprägter Familienverbände umgebracht wird. In Österreich fehlen offizielle Statistiken. Die meisten Fälle werden nie bekannt.

Aynur wächst in einer streng gläubigen, in den 1970ern aus Ostanatolien nach Berlin gekommenen kurdischen Familie mit acht Geschwistern auf. Der Film „Nur eine Frau“, der ihre Geschichte erzählt und jetzt im Kino zu sehen ist, beginnt mit einem „Besitzerwechsel“: Ihr Vater nimmt Aynur nach der vierten Klasse Gymnasium in Berlin Kreuzberg von der Schule. In der Türkei wird sie mit ihrem Cousin zwangsverheiratet. Als er sie verprügelt, kommt sie hochschwanger zurück. Die Familie will sie zurückschicken, erlaubt ihr dann doch, mit ihrem Baby hier zu bleiben – doch ab nun ist sie in diesem Haus der Fußabstreifer.

Zur Schande werden, „diese Todsünde kann bei uns nur ein Geschlecht begehen“, erzählt Aynur. Sie wird es noch weiter, indem sie beschließt, aus der räumlichen und geistigen Enge ihres Elternhauses auszubrechen, erst in ein Frauenhaus, dann in eine eigene Wohnung. Dank staatlicher Unterstützung und viel Entschlossenheit schafft es die Alleinerzieherin, eine Lehre als Elektroinstallateurin zu absolvieren. Eltern könnten stolz sein auf eine solche Tochter. Stattdessen verschlechtert sich das Verhältnis weiter, als Aynur das Kopftuch ablegt. Man stelle sich vor, die eigene Tochter sitze plötzlich als Hardcore-Nazi am Familientisch, oder als angehende Selbstmordattentäterin mit Sprengstoffgürtel, sagt Aynur. „Meine Haare und ich, wir sind Terror.“

Die Familie trauert nicht

Im Sarkasmus der Erzählerin spiegelt sich das Gefühl der Ohnmacht: „Es gab Hinweise, wer wem Hinweise gegeben habe, wie ich zu bestrafen sei für meine Sünden. Aber alles, befand später ein deutsches Gericht, sei nicht zu beweisen.“ Nur der zum Zeitpunkt der Tat 19-jährige Nuri wird mit neun Jahren Haft bestraft werden, seine zwei Brüder mangels Beweisen nicht. Und auch nicht der Prediger, der die jungen Männer in der Moschee noch weiter radikalisierte, als sie es durch die Traditionen ihrer Herkunftskultur schon waren. Man hat in diesem Film den Eindruck, diese tickende Bombe hat erst er scharf gemacht. Doch als sich die Familie kurz nach dem Mord versammelt, sieht man auch niemanden trauern. Die Mutter lächelt sogar.

Sie ist hier noch mehr Hüterin der „Familienehre“ als der Vater. Dieser zieht sich überfordert und resigniert zurück, überlässt vereinsamt der radikalen jungen Männlichkeit das Feld – seinen Söhnen und dem Prediger. Eine Zeit lang hat auch Aynur einen jungen Mann an ihrer Seite (ein nicht muslimischer Deutscher, auch das in den Augen der Eltern eine Schande), doch nachdem ihre Brüder das Paar abends auf der Straße bedroht haben, gibt er auf und macht Schluss. Zu lange Zeit hat er sie vergeblich gedrängt, zur Polizei zu gehen wegen der ständigen Drohanrufe ihrer Brüder. Auch dem Drängen ihres vierten, nicht radikalen Bruders, in eine andere Stadt zu ziehen, folgt sie nicht: Um keinen Preis will sie ganz mit ihrer Familie brechen. Auch damit besiegelt sie ihr Todesurteil.

Mit Almila Bagriacik als starker Hauptdarstellerin zeigt Regisseurin Sherry Hormann den Weg dorthin in einem Stil, der zugleich privat und distanziert wirkt: Vieles hier könnte von Verwandten oder Freunden mit der Handykamera aufgenommen sein. Andererseits friert sie Bilder ein oder lässt sie in Zeitlupe ablaufen, die Farben wirken bleich, verfremdet.

Kein Zweifel: „Nur eine Frau“ will den Zuschauer nicht mit Emotionen überwältigen, sondern dazu bringen, sich mit klarem Kopf zu empören – auch über den Gang ins Kino hinaus. Er sollte auch nicht dort bleiben, er sollte in die Schulen.

Die Geschichte hinter dem Film. Hatun Aynur Sürücü, 1982 in Berlin geboren, wurde 2005 von ihrem Bruder durch drei Kopfschüsse getötet. Der Fall löste eine deutschlandweite Debatte über Integrationsprobleme muslimischer Immigranten aus. „Nur eine Frau“ wurde von der TV-Journalistin Sandra Maischberger produziert, Regie führte Sherry Hormann, die schon die Geschichten von Waris Dirie und Natascha Kampusch verfilmt hatte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2019)

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