Von 6900 auf 272.450 Euro Schuldenstand

62.862 Menschen haben im Vorjahr die Hilfe der Schuldnerberatungen in Anspruch genommen.
62.862 Menschen haben im Vorjahr die Hilfe der Schuldnerberatungen in Anspruch genommen.(c) imago/fStop Images (Larry Washburn)
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Die Zahl der Menschen, die Hilfe bei der Schuldnerberatung suchten, stieg im Vorjahr auf 63.000. Ihnen wuchsen vor allem die Zinsen für einen Kredit über den Kopf – im Schnitt stehen sie mit 68.000 Euro in der Kreide.

Wien. Am Anfang sieht alles ganz harmlos aus: Ein Kredit für eine neue Wohnzimmereinrichtung, ein Auto, einen schönen Urlaub, ein repräsentables Weihnachtsgeschenk. Eh nur wenig – 10.000 Euro oder so. Dann passiert etwa Unvorhergesehenes, man verliert den Job oder den Ehepartner oder beides, und schon beginnt sich das Schuldenkarussell zu drehen. „Ein Konsumkredit und ein permanent überzogenes Konto – das ist die Einstiegsdroge in die Schuldenfalle“, bringt Clemens Mitterlehner, der Geschäftsführer des Dachverbands der Schuldnerberatungen, die Ursache für die existenzbedrohende Misere vieler Menschen auf den Punkt.

62.862 Menschen haben im Vorjahr die Hilfe der Schuldnerberatungen in Anspruch genommen, das waren um 4,4 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Erstmals kamen rund 20.000, etwa gleich viel wie 2017. Im Schnitt sind sie mit 68.000 Euro im Minus, eine Zahl, die ziemlich konstant ist. Das sei dennoch kein Grund zur Freude, betonte Mitterlehner am Dienstag bei der Präsentation des Schuldenreports 2019. Denn die Dunkelziffer sei um ein Vielfaches höher: Die Experten schätzen, dass rund 200.000 Personen so schwerwiegende finanzielle Probleme haben, dass sie ihre Rechnungen nicht mehr bedienen können.

Nur ein Bruchteil von ihnen schafft jedoch eine Entschuldung über einen Privatkonkurs – auch wenn die Bedingungen dafür durch eine Gesetzesnovelle Ende 2017 deutlich erleichtert wurden. So etwa gibt es die zehnprozentige Mindestquote nicht mehr – ein Punkt, den die Kreditschützer massiv kritisiert, die Schuldnerberater aber gefordert haben. Viele haben daher die Reform abgewartet, was einen Nachholeffekt zur Folge hatte: Die Zahl der Privatkonkurse ist 2018 von 6790 auf 10.024 in die Höhe geschnellt. Ein Drittel davon waren ehemalige Unternehmer, die im Schnitt deutlich mehr Schulden, nämlich 125.000 Euro, aufwiesen. Heuer dürfte die Zahl der Privatpleiten wieder um zehn Prozent sinken, schätzt Mitterlehner.

Per Konkurs aus dem Teufelskreis

Als Wurzel des Übels ortet der Report eindeutig die Zinsen für einen Kredit, die sich über die Jahre explosionsartig erhöhen können. Geld sei zwar derzeit billig, aber viele Menschen, die Hilfe suchten, seien schon vor Jahren ein Kreditverhältnis eingegangen, erläuterte Peter Niederreiter von der Schuldenberatung Salzburg. Wenn dann der Job verloren geht, die – ohnedies aus der Arbeitslosigkeit gegründete – Firma scheitert, es zu Scheidung oder Krankheit kommt, dann beginnt sich die Spirale zu drehen: Aus den Zinsen würden Zinseszinsen, dann kämen auch noch Verzugszinsen dazu. Zinssätze von 14 Prozent und mehr seien keine Seltenheit. So können aus 6900 Euro Schulden binnen 13,6 Jahren 272.449 Euro werden, errechnete der Dachverband. „Erst der Konkurs stoppt diesen Teufelskreis“, erklärte Niederreiter.

Die Hälfte aller Forderungen entfällt übrigens auf Banken (die Geld wieder lockerer verborgen) und den Handel/Versandhandel. Die andere Hälfte machen Versicherungen, Miete und Ähnliches aus. Harsche Kritik an den Banken bleibt aus. Aber: Die Werbung spiegle jungen Menschen heutzutage vor, sie könnten konsumieren, ohne etwas gespart zu haben, wiesen die Experten auf einen nicht zu unterschätzenden Faktor hin.
Eine zentrale Forderung der Schuldnerberater bezieht sich daher darauf, einen „Zinsenstopp“ einzuführen: Die maximale Verschuldung inklusive Zinsen und aller Kosten soll sich maximal verdoppeln dürfen.

Ein weiteres Anliegen besteht darin, dass das Existenzminimum, das derzeit für eine Person bei 909 Euro liegt, auf zumindest die Marke von 1259 Euro angehoben wird, bei der derzeit die Armutgefährdungsschwelle liegt. Die bei Zahlungsverzug übliche Pfändung auf das Existenzminimum treffe Familien besonders, betonte Mitterlehner. „Rund ein Viertel der armutsgefährdeten Personen ist unter 20 Jahre alt – das sind rund 372.000 Menschen in Österreich.“

Die Klientel der Beratungsstellen spiegelt die Situation gut wider: 36 Prozent sind arbeitslos, 27 Prozent haben nicht mehr Einkommen als das Existenzminimum. „Sie haben alle Hände voll zu tun, um das tägliche Leben zu meistern, und das gelingt eben meist nicht“, betonte Mitterlehner. Was noch schwer ins Gewicht fällt: 41 Prozent der Hilfesuchenden haben nur einen Pflichtschulabschluss. In der Gesamtbevölkerung liegt zum Vergleich der Anteil der Pflichtschulabsolventen bei nur 26,2 Prozent. „Wir brauchen schon dort eine bessere Finanzausbildung“, lautet daher die Forderung der Berater. (eid)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2019)

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