Vesna Orlic: Ein Spitzenschuh ersetzt das Holzbein

Fantastisch. Choreografin Vesna Orlic zieht für ihren „Peter Pan“ alle Register des Musiktheaters.
Fantastisch. Choreografin Vesna Orlic zieht für ihren „Peter Pan“ alle Register des Musiktheaters.(c) Katharina F.-Roßboth
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Für ihr neues Ballett „Peter Pan" schöpfte Choreografin Vesna Orlic aus dem Vollen: Da gibt’s Sprünge, Akrobatik, Pantomime und Slapstick.

„Ich bin die Jugend, ich bin die Freude“, sagt Peter Pan in der Kindergeschichte von James Matthew Barrie. Viele Deutungen gibt es zu dem Mythos um den Buben, der niemals erwachsen wird und sein Nimmerland nicht verlassen will. Sogar die Psychoanalyse hat sich damit auseinandergesetzt. Einen künstlerisch-verspielten Zugang zu dem Stoff hat die Choreografin Vesna Orlic für die Wiener Volksoper geschaffen: „Peter Pan“ ist ein Ballett für die ganze Familie, das nicht nur kleine Kids, sondern auch Teenies und Erwachsene ansprechen soll. „Es gibt witzige und zynische Szenen, die auch die Pubertierenden cool finden werden“, verrät Orlic, die selber zwei Teenager zu Hause hat. Sie hat eine erfolgreiche Tänzerinnen-Karriere hinter sich und ist seit 2010 Ballettmeisterin und Stellvertreterin von Staatsballett-Direktor Manuel Le­gris. An der Volksoper konnte sie schon mit mehreren Produktionen überzeugen, etwa „Carmina Burana“ (2010), „Out of Tango“ oder „Tausendundeine Nacht“ (2013). Das Tanzen ist nach wie vor ihre Leidenschaft. „Wann immer ich Zeit habe, versuche ich, mit der Compagnie mitzutrainieren.“

Es gibt zahlreiche Adaptionen des Kinderbuchs von James Matthew Barrie, Filme, Theaterstücke, auch mehrere Ballette. Wie kam es zu der Idee, ein eigenes „Peter Pan“-Ballett zu machen?
Die Volksoper sucht immer Kinderstücke. Die Inspiration kam von den Tänzern: Keisuke Nejime hat einen leichtfüßigen Sprung und hält sich in der Luft. Er ist ein erfahrener Tänzer, sieht aber wie ein Teenie aus. Er ist ein idealer Peter Pan. Und László Benedek konnte ich mir sehr gut als Captain Hook vorstellen. Er ist nobel in der Bewegung, kann aber auch komisch sein. Er bekommt von mir einen Spitzenschuh statt eines Holzbeins. Sein Diener, Smee, ist auch eine witzige Gestalt, da kam mir Patrik Hullman in den Sinn, der eine sehr lustige Mimik hat. Ich konnte einige Szenen da schon gut vor mir sehen . . .


Woher stammt die Musik? Es gibt ja keine eigene Ballettmusik dazu.
Für die bisherigen Ballette liegen die Musikrechte jeweils bei den Choreografen. Ich wollte auch etwas eigenes haben. Es war ein ziemlich langwieriger Prozess. Mein Kollege Gerald Stocker hat Filmmusik vorgeschlagen und mir Stücke von Erich Wolfgang Korngold und Max Steiner vorgespielt – beides österreichische Komponisten, die vor den Nazis flüchten mussten und zu Wegbereitern des „Sound of Hollywood“ wurden. Ich konnte diese Musik sofort einzelnen Szenen zuordnen. Sie stammt aus symphonischen Kompositionen zu Filmen wie „Captain Blood“ (1935), „The Adventures of Robin Hood“ (1938), „The Sea Hawk“ (1940), „The Prince and the Pauper“ (1937) sowie „The Adventures of Don Juan“ (1948), „The Treasures of the Sierra Madre“ (1948) und „The Adventures of Mark Twain“ (1944). Da hatten wir einmal einen Ausgangspunkt. Der Kreis der auserwählten Komponisten wurde dann nach und nach um Korngolds und Steiners Zeitgenossen Miklós Rózsa, Bernard Herrmann und Franz Waxman erweitert. Franz Waxmans Komposition zu „Taras Bulba“ wurde eine der Schlüsselnummern für die Piratenszenen.


Es gibt auch einige Nummern, die speziell für das Ballett geschrieben wurden.
Ja, Guido Mancusi, der ursprünglich auch dirigieren sollte, dann aber aus Termingründen absagen musste, hat einige Nummern geschrieben, um einen dramaturgischen Bogen zu ermöglichen. Außerdem hat Sebastian Brugner-Luiz, er ist Komponist und Schlagwerker im Volksopern-Orchester, zwei effektvolle Trommelnummern für die Indianer komponiert. Da stehen dann zwei Bühnenmusiker mit Trommeln auf der Bühne.


Sie schöpfen aus dem Vollen . . .
Ja, tänzerisch, musikalisch, szenisch und technisch. Das ist ja das Gute, wenn man an der Oper arbeitet. Wir haben ein großes Schiff, es gibt Nebel, Wasser, Kanonen, eine Bombe, die nicht explodiert, wenn sie explodieren soll. Und ein Krokodil. Es gibt auch Videoprojektionen. Wenn die Kinder mit Peter Pan davonfliegen, springen sie aus dem Kinderzimmerfenster und fliegen im Video weiter, am Big Ben vorbei. Aber es wird auch wirklich geflogen . . .


Bei so vielen unterschiedlichen Komponisten: Wie schafft man es, da einen musikalischen Bogen zu spannen?
Wolfram Märtig, der Dirigent, ist mit großem Respekt vor der Musik an die Arbeit herangegangen. Er hat die Übergänge mit viel Feingefühl arrangiert. Es hat sich ein gutes Zusammenspiel entwickelt. Wenn man nicht wüsste, dass die Musik von unterschiedlichen Komponisten stammt, würde man es nicht ahnen.


Wie kann man sich die Tanznummern vorstellen? Sind sie eher klassisch oder modern?
Es gibt ein paar Zitate aus dem klassischen Ballett. Sonst versuche ich, aus jedem Tänzer das Beste herauszuholen. Jeder hat so seine Spezialität. Es gibt jedenfalls keine Pas de deux oder Divertissements, die die Handlung unterbrechen. Wenn, dann erzählen sie etwas. Manche Nummern sind mehr klassisch, manche mehr zeitgenössisch oder akrobatisch. Es gibt viele Sprünge. Und manche machen mehr Pantomime.


Zum Inhalt – welche Bedeutung hat „Peter Pan“ für Sie?
Ich habe „Peter Pan“ das erste Mal gesehen, als meine Kinder klein waren. Jetzt sind sie in der Pubertät, und ich erkenne mehr und mehr die Situation. Das Thema von „Peter Pan“ ist ein Thema, das alle betrifft und immer aktuell sein wird: Es geht um Abenteuer, die man sucht, Eltern, die ihre Kinder nicht verstehen. Die innere Zerrissenheit. Bei mir gibt es einen eigenen Tänzer für den Schatten von Peter Pan. Der Schatten ist ein zweites Ich, kämpft mit Peter Pan, aber wenn es eng wird, halten die beiden zusammen. Der Schatten ist so etwas wie ein erwachseneres Alter Ego von Peter.


Das Ende ist ja immer schwierig. Wie sieht es bei Ihnen aus?
Ich habe lang über das Ende nachgedacht. Gibt es Peter Pan oder war das Ganze nur ein Traum der Kinder? Ich wollte, dass das offenbleibt. Es bleibt jedenfalls die Chance, dass die Kinder immer wieder in ihren Traum zurückkehren können.


Anderes Thema: Was sagen Sie zu den Vorwürfen von Drill und Misshandlungen an der Ballettschule der Wiener Staatsoper?
Mein 18-jähriger Sohn ist in der Ballettschule, ich habe ihn natürlich gleich gefragt. Er sagt, er hat das nie als Drill erlebt. Ich war selber Tänzerin von meinem 18. bis zu meinem 40. Lebensjahr. Das ist natürlich kein leichter Job, aber ich habe von Anfang an gelernt, dass man, wenn man etwas will, das auch durchziehen muss. Auch wenn es hart ist. Und ich war glücklich dabei.


Wie war der Schritt von der Tänzerin zur Choreografin?
Man muss Talent, Erfahrung und Glück haben. Ich bin sehr froh, dass ich das machen darf, dass sich mir Gelegenheiten geboten haben. Der Beruf hat etwas Spielerisches. Ich könnte mir nicht vorstellen, irgendwo im Büro zu sitzen.

Tipp

„Peter Pan". Uraufführung ist am 11. Mai um 19 Uhr. Dirigent: Wolfram-Maria Märtig. Choreografie: Vesna Orlic. www.volksoper.at

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