Dieser Papiersack soll atmen können

Spezialfall Zementsäcke: Von der Befüllung über die Lagerung bis zum endgültigen Verbrauch ergeben sich zahlreiche Probleme.
Spezialfall Zementsäcke: Von der Befüllung über die Lagerung bis zum endgültigen Verbrauch ergeben sich zahlreiche Probleme.Ric Aguiar/Getty Images]
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Die Zementindustrie benötigt neue Materialien für ihre Abfüllsäcke. In erster Linie muss das Verpackungspapier porös sein und großen Druck aushalten.

Dieser Papiersack muss einiges aushalten. Er muss für großen Druck geeignet sein, wenn er befüllt wird. Für schweren Inhalt sowieso. Außerdem hat er strapazierfähig zu sein, denn mit dem vollgefüllten Sack wird nicht zimperlich umgegangen. Und schließlich hat das Papier auch atmungsaktiv zu sein.

Die Rede ist von Zementsäcken, die nicht nur bei Bauarbeitern, sondern auch bei Heimwerkern zum gängigen Werkstoff zählen. Im Handel sind derzeit die 25-Kilogramm-Säcke üblich, bis 1999 waren sie sogar meist 50 kg schwer (die Bauarbeitergewerkschaft setzte die Reduktion durch). Immer neue und wachsende Beanspruchungen machen es notwendig, das Papier und seine Eigenschaften weiterzuentwickeln, sagt Karin Zojer, Laborkoordinatorin des an der TU Graz eingerichteten Christian-Doppler-Labors für Stofftransport durch Papier. Der Verpackungs- und Papierhersteller Mondi hat nun das CD-Labor beauftragt, die Grundlagen für die Lösung der neuen Problemstellungen zu erforschen, um neue, noch bessere umweltfreundliche Verpackungspapiere zu entwickeln. So hat sich auch die Zementmischung in den vergangenen Jahren geändert. Die Zementhersteller haben Rezepturen entwickelt, die feinkörniger sind und so für die Entlüftungsporen im Sackpapier eine neue Herausforderung darstellen. Deswegen werden Zojer und ihr Team Simulationsmodelle entwickeln, um die Durchlässigkeit poröser Papierstrukturen zu optimieren, ohne dass z. B. die Reißfestigkeit darunter leidet.

80 Prozent Luft dabei

In der Praxis vollzieht sich die erste Beanspruchung bei der industriellen Befüllung. Da werden mit dem Zement bis zu 80 Prozent Luft in den Sack geblasen. Innerhalb von drei Sekunden ist der Zementsack voll, in dieser kurzen Zeitspanne muss also die Luft durch die Poren an der Papieroberfläche wieder entweichen können. Dann müssen die Bedingungen bei der Lagerung beachtet werden. „Mit den Säcken wird nicht gerade zimperlich umgegangen“, weiß Karin Zojer über die Handhabung durch Lagerpersonal. Der Papiersack darf nicht platzen; wird er auf den Boden geworfen, muss abermals Luft entweichen können. Papier, so Zojer, ist an und für sich von der Herstellung her ein günstiges Hightech-Produkt. Das Material wird aus nachhaltigen Rohstoffen hergestellt, ist porös und reißfester als viele andere Materialien mit ähnlichen Entlüftungseigenschaften. Zudem ist ein Alleinstellungsmerkmal, dass sich Papier in Wasser auflöst, aus den Fasern aber durch Trocknen wieder ein stabiles Papier hergestellt werden kann.

In einem ersten Schritt wird jetzt im CD-Labor die Porenstruktur des Verpackungsmaterials mikroskopisch untersucht. Mittels Röntgentomografie wird festgestellt, wo sich Teilchen in den Papierstrukturen ablagern können. Darauf aufbauend werden mathematische Modelle entwickelt, mit deren Hilfe die Materialeigenschaften des Papiers analysiert werden, insbesondere die der Poren. Die auf Zellulose basierenden Fasern des Papiers treten mit der Umgebung in eine Wechselwirkung. Zudem ändern sich die Strukturen bei Nässe.

Die aus Dresden stammende Karin Zojer ist nach Forschungsjahren an US-Universitäten 2006 als Assistenzprofessorin an das Institut für Festkörperphysik der TU Graz gekommen. Seit nunmehr zehn Jahren ist die chemische Faserung des Papiers einer der Forschungsschwerpunkte des Instituts. Zojer war an der TU Graz bereits in ein Else-Richter-Programm des Forschungsförderungsfonds FWF eingebunden, im Rahmen dessen sie an der Simulation des Schaltverhaltens organischer Transistoren arbeitete. Sie ist Expertin für die mathematische Simulation von Materialien. Gerade deswegen ist die Mondi-Gruppe an sie herangetreten, das im Jänner 2018 neu geschaffene und auf sieben Jahre eingerichtete CD-Labor zu leiten.

Plastikeinlage im Papier?

Ein noch nicht gelöstes Problem betrifft das Eindringen von Feuchtigkeit und Wasser in die Papiersäcke, da ja der Zement durch Nässe unbrauchbar wird. „Der Papierwerkstoff könnte durch das Einziehen von Kunststofffolien wasserundurchlässig werden“, sagt Karin Zojer. Dann aber wären die Zementsäcke wiederum schwer zu recyceln. In einem Punkt konnte das Grazer CD-Labor hingegen sogar einen Rekord erzielen: Die Befüllzeit für einen Zementsack konnte von drei auf 2,33 Sekunden minimiert werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2019)

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