Lichtzeichen auf dem Weg zum kulturellen Leuchtturm

Tunis gehört zu den weniger entdeckten und lang unterschätzten Kulturstädten am Mittelmeer: Dabei ist die Altstadt Unesco-Welterbe, liegt mit Karthago an einer der wichtigsten antiken Stätten.
Tunis gehört zu den weniger entdeckten und lang unterschätzten Kulturstädten am Mittelmeer: Dabei ist die Altstadt Unesco-Welterbe, liegt mit Karthago an einer der wichtigsten antiken Stätten.Getty Images/iStockphoto
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Der Frühling ist ideal für einen Besuch von Tunis. Kunst und Kultur lassen sich hier gut mit einem Thalassoaufenthalt an der Küste verbinden.

Die Luft ist noch ein wenig frisch, der Strand fast menschenleer. Warm und windgeschützt gekleidet tut ein Spaziergang begleitet vom Meeresrauschen und der Morgensonne richtig gut. Der Frühlingsmorgen an der Küste von Karthago in Tunesien zeigt sich noch zurückhaltend. Aber Menschen, die die beliebte Feriendestination abseits vom Pauschalsommerurlaub erleben möchten, bietet sie in der Vorsaison bei moderaten Temperaturen jede Menge Abwechslung und Überraschungen. Der Arabische Frühling hat in vielen Bereichen des Lebens, und besonders in der Kunst, Einzug gehalten.

Kunst und Kultur, Wellness und Thalasso, eine abwechslungsreiche Küche und gute Weine, Einkaufen und Golfen – der Mix ist auch an einem verlängerten Wochenende in Tunis und Umgebung, nur zwei Flugstunden von Wien entfernt, vorrätig. Etwa 20 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt liegen an der Küste die wohlhabenden Vororte von Tunis – La Marsa und Gammarth. Mit ihrer Fünf-Sterne-Hotellerie, den Golfplätzen, Restaurants und Cafés, Geschäften und Galerien sind sie Badeorte und Naherholungsziele der Tuniser. Im Süden grenzt La Marsa zudem an das Künstlerdorf Sidi Bou Saïd, letztlich berühmt durch die Bilder August Mackes, dessen gemeinsame Tunisreise mit Paul Klee und Louis Moilliet 1914 einen Meilenstein in der Malerei der Moderne gesetzt hat.

Macke malte die kubischen, weißen Häuser mit ihrem blauen Dekor in einem besonderen Licht. Hierher kommen Touristen und Einheimische eines Gesamtensembles wegen – der Villen, Gärten, Galerien, Terrassencafés, der Souvenirshops und der besten Aussicht auf das Meer. Noch ein paar Kilometer weiter in Richtung Süden gilt auch Karthago als nobler Vorort und ist zugleich ein Anziehungspunkt für Geschichte-Interessierte, die den ehemaligen Hafen der Punier und die Ausgrabungsstätte aus punischer und römischer Zeit besichtigen wollen.

Schubkraft der Kunst

Historisches, Traditionelles und Neues trifft immer wieder aufeinander. Ein beispielhafter Ort dafür ist das Atelier der Glaskünstlerin Sadika Keskes. Mit ihrem Label Sadika ist sie offensichtlich die einzige Frau im Land, die das alte Handwerk ausübt. Sie designt und produziert seit 42 Jahren feinste Gefäße, Skulpturen, Lampen und Dekostücke in ihrer Werkstatt. Spezielle Glaswürfel dienen als Skulpturen oder werden in Wände eingesetzt, auch ganze Räume konzipiert sie mit Glaskunst. „Bei meinem Kunststudium in Tunis hab ich einen Film über die Glasblaskunst gesehen, die es bereits seit dem 14. Jahrhundert in Tunesien gibt“, erzählt sie. Besonders die Kraft des Feuers hat sie fasziniert. Nach dem Studium zog es Sadika Keskes nach Murano, um das Handwerk zu erlernen, danach wieder in ihre Heimat, wo sie ihren ersten Ofen aufstellte. Später eröffnete sie ihr Atelier in Gammarth. Inzwischen hat sie mehrere Angestellte, die diese Handwerkskunst bei ihr erlernten und sie an der glosenden Glut ausüben, die ersten Stücke jeder Kollektion führt sie dennoch selbst aus, wie sie erzählt. Mehrere Tonnen Glas werden hier Monat für Monat geschmolzen und verarbeitet, Recycling-Material wird ebenfalls verwendet.

Immer schon suchte sie die Kooperation: „Für mich ist das sehr wichtig. Kreativität ist nicht möglich, wenn wir nur allein arbeiten“, gibt sie zu bedenken. Die Räume ihres Ateliers stellt sie auch anderen Künstlern – Keramikern, Juwelieren, Webern, Malern oder Autoren – zur Verfügung, die hier arbeiten, zeitweise auch wohnen, ausstellen, auftreten und sich austauschen. Dabei ist ein Netzwerk von mittlerweile 500 Künstlern, davon der Großteil Frauen, entstanden. „Es gibt sehr viel Kunst und Kultur in Tunesien. Früher wurde das oft unterdrückt, unter den Teppich gekehrt. Seit 2011 – begonnen hat es mit dem Arabischen Frühling – bricht alles auf. Es ist eine intellektuelle Revolution“, freut sich Sadika. Es gebe viele Bewegungen, einen Reichtum an Ideen – und langsam auch internationale Aufmerksamkeit dafür. „Kultur ist notwendig, sodass auch die Wirtschaft folgt und sich die Gesellschaft weiterentwickelt.“

Statement für die Kunst

Diese kulturelle Revolution und ein neuer Hunger nach Kunst und Kultur zeigen sich im ganzen Land. Nicht zuletzt nach der Eröffnung der „Cité de la Culture“ in Tunis. Das neue Kulturzentrum an der Avenue Mohamed V wurde vor einem Jahr eröffnet: ein riesiger, luxuriöser Komplex aus Beton, Marmor und Glas, mit einem großen Atrium, Säulen, Bögen und Stufen sowie einem 60 Meter hohen Turm mit Panorama-Glaskugel. Theater, Oper, Tanz, bildende Künste, Film – alles findet hier seitdem Platz. „Es gibt eine enorme Nachfrage, ein großes Interesse an den Veranstaltungen, die immer ausgebucht sind“, erzählt Fadi Helali, Musiker und zuweilen auch Guide in dem Kulturbau. Die Oper allein hat 1800 Sitzplätze, zwei weitere Theatersäle, zwei Kinosäle, Auditorium, ein Museum für moderne und zeitgenössische Kunst, Marionettenmuseum und verschiedene Kulturinstitutionen sind hier untergebracht. „Es gibt auch ein Theater der Regionen. Das heißt: Jeden Monat präsentiert sich eine andere tunesische Region“, erklärt Helali. Zuvor existierten in Tunis nur ein Stadttheater und das Konservatorium für Musik.

Nun ist das Bauwerk das größte Veranstaltungszentrum in Tunesien und offen für Einheimische genauso wie für die Besucher des Landes. Nach dem Baubeginn 2005 hätte es bereits 2009 eröffnet werden sollen. Verzögerungen gab es schon vor dem Arabischen Frühling. 2016 wurden die Arbeiten schließlich fortgeführt, was möglicherweise auch auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass der seit 2016 im Amt befindliche Kulturminister, Mohammed Zine el Abidine, bereits vorher Leiter des Projekts gewesen war. Bei der Eröffnung sprach er vom „größten Kulturkomplex im Maghreb, in der arabischen Welt und in Afrika. Tunesien muss ein kultureller Leuchtturm sein.“

Konträr zur neuen Kulturcity präsentiert sich das Stadtzentrum mit den Avenues und Boulevards, den arabisch oder vom Jugendstil geprägten Fassaden, Moscheen und reich geschmückten Palästen und Höfen. Auf dem großen Markt werden riesige Mengen an Gemüse, Obst und Gewürzen feilgeboten, eine ganze Halle widmet sich frischem Fisch und Meeresfrüchten. In den verwinkelten Gassen der Medina reihen sich Souvenir- und Fachgeschäfte wie auch kleine Boutiquen mit feinem Kunsthandwerk aneinander. Ein geschäftiges Treiben, das man gut bei einem Kaffee oder Tee beziehungsweise einem Snack an den Imbissständen beobachten kann.

Anwendungen aus dem Wasser

Abseits des Trubels sind die Hotels an der Küste ruhige Rückzugsorte, besonders in der Vorsaison. Das Fünf-Sterne-Hotel The Residence Tunis etwa bietet als eines der wenigen Häuser in Gammarth nicht nur einen hoteleignen Strand, sondern auch Thalassoanwendungen (während andere „nur“ ein Spa hätten, wie es heißt). Im geschmackvollen Ambiente des Hotels und des Wellnessbereichs, der ein wenig an ein antikes Bad erinnert, fällt es leicht, Ruhe zu finden und sich auf die Wirkung der Mineralstoffe aus dem Meerwasser, der Algen und des Meerschlamms und der Öle einzulassen. Meeresluft und die Sonne unterstützen die heilenden Kräfte für Körper und Seele, sagen die Experten. „Wollen Sie einen beruhigenden oder einen belebenden Duft?“, fragt Mouna, seit 20 Jahren im Hotel als Thallassotherapeutin beschäftigt, vor der Behandlung. Thalasso wird sowohl für ein, zwei Treatments zwischendurch als auch im Zuge von einwöchigen Programmen angeboten.

Wieder auf Touren lohnt sich eine Runde Golf in Gammarth, selbst für Anfänger, die vielleicht nur den Abschlag üben möchten. Der 18-Loch-Golfkurs der Golf Performance Academy liegt zwischen Meer und Salzsee eines Naturschutzgebiets, in dem jedes Jahr große Schwärme von Zugvögeln Station machen. „So halten Sie den Griff richtig“, weist Lilia Maaref, Tunesiens einzige weibliche Golflehrerin, die Teilnehmer des Schnupperkurses ein. Die richtige Haltung, der richtige Schwung, alles wird geübt. „Gut gemacht“, meint sie anerkennend, „das nächste Mal auch mit dem rechten Fuß auf dem Boden bleiben.“ Hier sei es auch möglich, ein paar Übungsstunden zu nehmen, ohne Mitglied im Club zu sein, erklärt Maaref. Sie ist die erste arabische Frau, die eine Pro-Tour-Karte (für zwei aufeinanderfolgende Spielzeiten) gewonnen hat, teilgenommen hat sie auch an den European-Tour-Wettbewerben. In Tunesien sind es ihr zufolge etwa 20 Prozent Frauen, die Golf spielen – da ist noch Potenzial für mehr „Frühling“.

EIN PAAR TAGE IN TUNIS

Anreise: Tunisair fliegt direkt Wien–Tunis, Do und So, www.tunisair.com.

Infos: Tunesisches Fremdenverkehrsamt, www.discovertunisia.com.

Hoteltipp: The Residence Tunis: Exklusiv, mit eigenem Strand, mit Thalassokompetenz. Unweit vom Green. www.cenizaro.com/theresidence/tunis

Anschauen: „Cité de la Culture“: 2018 eröffnetes Kulturzentrum

Sadikas Atelier: www.sadika.com

Medina: Die Altstadt ist Unesco-Welterbe.
Sidi Bou Saïd: berühmtes Dorf mit maurischen Bauten.

Aktuell: Der islamische Fastenmonat Ramadan dauert heuer bis 3. Juni.

Compliance-Hinweis: Die Reise erfolgte auf Einladung des Tunesischen FVA.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2019)

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