Kim kommandiert einen Test mit Langstreckenwaffen. Trump sieht die Chance für einen Atomdeal schwinden.
Tokio. Nun hat Nordkoreas Machthaber, Kim Jong-un, offenbar die Hemmschwelle endgültig überschritten. Der Führer der Atommacht beaufsichtigte am Freitag höchstpersönlich, wie sein Militär einen Langstreckenangriff übte. Mit Stolz und Pathos verkündete die staatliche Propaganda-Agentur KCNA: „Auf dem Kommandoposten hat der Oberste Führer Kim Jong-un die Anweisung zum Start der Übung gegeben.“ Allerdings wurden keine Angaben dazu gemacht, welche Systeme genau dabei abgefeuert worden waren.
Das „erfolgreiche Manöver“ sei darauf ausgerichtet gewesen, „die Fähigkeit zur schnellen Reaktion der Verteidigungseinheiten“ zu prüfen. Diese hätten bei dem Test ihre Macht eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Das mag prahlerisch sein, vielleicht ist es sogar nur ein plumper Bluff. Denn Südkoreas Militärführung hatte lediglich beobachtet, dass Nordkorea bereits am Donnerstag einige Kurzstreckenraketen über koreanisches Festland ins Japanische Meer abgefeuert hatte. Das bestätigte auch der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, Dave Eastburn, der laut südkoreanischen Medien von „mehreren ballistischen Raketen“ berichtete.
Verhaltene Reaktion aus Washington
Das Weiße Haus reagierte zunächst eher zurückhaltend. Man habe die Wiederaufnahme der nordkoreanischen Raketentests zur Kenntnis genommen. Aber US-Präsident Donald Trump sieht die Chancen auf einen „Deal“ schwinden. In Bezug auf die festgefahrenen Gespräche über das Atomwaffenprogramm Pjöngjangs erklärte Trump, er gehe zwar davon aus, dass die Nordkoreaner weiterhin reden wollten. Aber angesichts der Tests „denke ich nicht, dass sie bereit sind zu verhandeln“. Niemand sei glücklich darüber, aber die Beziehungen blieben bestehen.
Dass es nach dem gescheiterten Hanoi-Gipfel Ende März noch einen Gesprächsfaden oder gar Verhandlungsstränge gibt, darf bezweifelt werden. Das Kim-Regime lehnt inzwischen ab, mit US-Außenminister Mike Pompeo überhaupt noch zu sprechen. Es fordert einen anderen Konterpart, der „erwachsen und ernsthaft“ an die Probleme herangehe. Pompeo gilt in der nordkoreanischen Propaganda als Hardliner, der eher die Auseinandersetzung sucht als den Ausgleich.
Japan will eigenen Gipfel mit Kim
Washington hat das Ansinnen eines Personalwechsels umgehend zurückgewiesen. Unterdessen gaben die USA bekannt, dass sie ein nordkoreanisches Schiff beschlagnahmt hätten, das gegen Sanktionen verstoßen habe. Auch diese Aktion könnte zu neuen Spannungen führen.
Die japanische Regierung wertet die jüngsten Raketentests mit dem Ziel Japanisches Meer als „schwere Provokation“ und „klare Verletzung der Resolutionen des UN-Sicherheitsrates“. Der offizielle Protest wurde von der Sorge begleitet, dass Pjöngjang nun völlig außer Kontrolle geraten könnte. Ein Sprecher der Regierung in Tokio artikulierte die Hoffnung, die nordkoreanischen Militärübungen würden die japanischen Bemühungen um einen „Gipfel ohne jede Vorbedingungen“ zwischen Kim Jong-un und Premier Shinzō Abe nicht verhindern. Damit räumte Tokio erstmals offiziell ein, sich ebenfalls um ein Spitzentreffen mit Nordkoreas Machthaber zu bemühen.
Warnschüsse Richtung USA
Bereits am vergangenen Samstag hatte Kim Jong-un einen provokanten Warnschuss Richtung USA abfeuern lassen – freilich nur mit Feldraketenwerfern. In Seoul ist man sicher, dass Nordkoreas Kriegsspiele als Versuch zu werten sind, Trump und dessen Sicherheitsberater, John Bolton, unter Druck zu setzen, einen Großteil der internationalen Sanktionen aufzuheben. Südkoreas Staatschef, Moon Jae-in, sieht in den Raketentests vor allem ein Signal an die USA, dass die Führung in Pjöngjang wegen des gescheiterten Hanoi-Gipfels zwischen Trump und Kim unzufrieden ist. „Das kann als geplante Aktion betrachtet werden, dennoch versucht Nordkorea zugleich, den Dialog nicht vollständig zu ruinieren“, sagte Moon in einem TV-Interview.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2019)