Azoren: Nicht Atlantis, doch atlantisch

Wurden einst für ein mögliches Atlantis gehalten, sind aber sehr heutig: Auf der Hauptinsel der Azoren gibt es Graffiti und moderne Ruinen, ausgesetzte Leuchttürme und heilige Wegweiser. Und dazwischen viel satte, grüne, wilde Landschaft.
Wurden einst für ein mögliches Atlantis gehalten, sind aber sehr heutig: Auf der Hauptinsel der Azoren gibt es Graffiti und moderne Ruinen, ausgesetzte Leuchttürme und heilige Wegweiser. Und dazwischen viel satte, grüne, wilde Landschaft.Lisa Grum
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Durch den Wetterbericht sind die Azoren bekannter als durch den Tourismus. Noch. Wer den Archipel mitten im Atlantik besucht, findet magische Landschaft und bedeutungsvolle Orte vor. Tipps von der Hauptinsel, São Miguel.

Auf etwa drei Viertel der Strecke zwischen Amerika und Europa liegt eine Gruppe bildschöner Inseln, welche zu Portugal gehören, die Azoren. Viele Menschen glauben, dass es sich um die Berggipfel des untergegangenen Atlantis handelt, das vor langer Zeit vom Ozean verschluckt wurde.“ So erzählen E. L. Brock und Elsie Spicer Eells in ihrem Buch „The Islands of Magic“ mit über 30 Sagen. Eine Lektüre, die jeder mit Wanderlust und einem Flugticket nach São Miguel unbedingt einpacken sollte. Denn hier finden sich viele Parallelen zwischen den Erzählungen und diesem abgelegenen Urlaubsziel. Die Insel ist voll von magischen Orten: imposanten Vulkanen, schwarzen Stränden, grünen Bergen, zweifärbigen Seen, heißen Quellen, gruseligen verlassenen Gebäuden für Abenteurer. Dutzende Wanderwege führen zwischen Berg und Küste, Weinhängen und Teeplantagendurch.

Caldeira Velha

Der Roadtrip zu den acht schönsten Orten startet am höchsten Punkt, auf dem höchsten Berggipfel des laut Sage versunkenen Atlantis – dem Vulkan des Feuers – am Caldeira Velha. Der Vulkan Vulcão do Fogo ist von Nebelschwaden umhüllt, der kleine Parkplatz an der Bergstraße halb leer. Ein schmaler Pfad führt zu einem versteckten Ort, der nur zu Fuß zu erreichen ist. Zwischen hohen Bäumen hindurch betritt man einen geheimnisvollen Regenwald, links und rechts geht es steil bergab. Die feuchten Pflanzen hier sind so dicht, dass man den Waldboden nicht sehen kann. Sie strahlen in den kräftigsten Grün- und Brauntönen. Grillen zirpen und Frösche quaken, etwas entfernt rauscht Wasser. Hinter einer Kurve tauchen sie dann auf, dampfend und heiß, die Caldeira Velha, Quellen, die die Azoreaner in künstliche Steinbecken umgeleitet haben.

Ein traumhafter Wasserfall prasselt herab. Fotos können das Gefühl und die Farben dieses Orts niemals einfangen. Hier oben ist es kühl und nieselt, während weit unten am schwarzen Vulkanstrand die Sonne scheint. In einem der heißen Becken badend, die Arme und den Kopf auf dem Steinrand abgelegt, führt der Blick in die grüne Tiefe des Wassers. Über den Köpfen ein Blätterdach, saftige Gräser und riesige Palmen um einen herum. Darüber ein grauer Himmel. Abgesehen von den Fröschen, dem Geräusch der Regentropfen und dem Plätschern des Flusses herrscht Ruhe. Wie absurd, nur fünf Minuten zu Fuß von der Hauptstraße entfernt so ein Paradies zu entdecken. Den heißen Quellen werden Heilkräfte nachgesagt, die dem Vulkan mitgegeben worden sein sollen, als er aus den tiefen des Atlantiks aufgestiegen ist, um für die Insulaner und Insulanerinnen zu sorgen.

Die Azoren sind für obskure Wetterlagen bekannt. Ist es in der einen Sekunde Sommer, kann das Meer in der nächsten schon den Herbst hereintragen. Solche Tage verbringt man am besten in den Caldeira Velha.

Wer leichtere Erreichbarkeit und ausgebaute Infrastruktur bevorzugt, fährt nach Poça da Dona Beija in Furnas. Dort badet man auf einem kleinen, sehr gepflegten Gelände in mehreren Steinpools, die neben einem Fluss eingerichtet wurden. Hier ist das Wasser mit 38 Grad sogar noch heißer, und es gibt die Möglichkeit, überdacht zu duschen und Umkleidekabinen und Schließfächer zu mieten.

Ponta Delgada

Als Ausgangsbasis für eine Azoren-Reise bietet sich die Hauptstadt an. Hier im Süden hat es frühlingshafte Temperaturen, und während man mit einem Kaffee barfuß auf dem Balkon steht, breiten sich der dunkelblaue Atlantik und das malerische Ponta Delgada aus. Die größte Stadt auf São Miguel liegt am Meer und hat einen kleinen Hafen. Man spaziert über die Promenade, überquert weite gepflasterte Plätze mit Palmen, erkundet enge Gassen und macht es sich in einem der Cafés und Restaurants gemütlich. Ein Sightseeing-Zug tuckert ganztags herum, halb leer, weil noch nicht Saison ist. Die Wolken über dem Meer und der Stadt sehen nah und dicht aus, wie aufgemalt, hinter ihnen leuchtet ein blitzblauer Himmel. Die kleinen Geschäfte verkaufen Blumenzwiebeln, die sich auf Kartons in die Höhe stapeln, Rosenkränze in allen Farben, an Haustüren hängen detailreich gemalte Heiligenbilder, gleich neben Graffitikunst auf vielen Mauern.

Im Mercado da Graça, einer überdachten schönen Markthalle, findet man regionale Produkte. Blumen, Käse, frisches Obst und Gemüse, aufgetürmte Berge von Ananas. Filialen von Supermarktketten findet man direkt in der Stadt nicht. Dafür müsste man schon ins einzige Einkaufzentrum der Insel fahren. Das verträumte Ponta wirkt, als hätte es sich dem Trubel des 21. Jahrhunderts völlig entzogen, die Menschen gehen langsam, Smartphones sieht man kaum in ihren Händen, kleine ältere Autos parken in den Gassen, Fast Food existiert nicht. Stattdessen gibt es überall Blumenbeete, Gärten, kleine Betriebe, Fischerboote im Hafen. Mittags, wenn das Wetter noch hält, setzt man sich am besten draußen ins Café Central am Hauptplatz, wo eine ausgezeichnete Francesinha mit Spiegelei, Kaffee und hausgemachte Desserts serviert werden.

Eselspfad nach Rocha da Relva

Die spannendsten Wanderwege sind ohne Auto nur schwer erreichbar, auch jener nach Rocha da Relva, ein verborgener Pfad. Auf einer kurvigen Straße geht es zuerst Hügel um Hügel zwischen imposanten Stadtvillen aus dem 19. Jahrhundert und modernen Siedlungen entlang. Bald säumen nur noch Wiesen und tellergroße Hortensien in allen Blau- und Lilatönen die Landschaft. Den unscheinbaren Marien-Bildstock würde man mit Sicherheit übersehen, wüsste man nicht, dass dies der einzige Zugang zum alten Eselspfad und zum Abstieg ans Meer ist. Auf rotbraunen Serpentinen schlängelt sich der Weg zwischen schwarzen Klippen hindurch, passiert Weingärten und große runde Felsen, die wie Murmeln vom Meer angespült wurden. Die Luft riecht salzig und nach geschnittenem Gras. Winzer arbeiten zwischen den Reben, und tatsächlich versperrt ein Gras kauender Esel den Weg, bis er von einem Bauern sanft auf die Seite geschoben wird. Am Ende liegt ein kleines, verstecktes Dorf, das nur über den Pfad erreichbar ist. Die Häuschen sind traditionell aus Vulkanstein gebaut, ihre Gärten liebevoll gepflegt und mit Holzpfählen abgegrenzt. Die Dorfbewohner winken und erklären, dass es hier nicht weitergeht. Eine Einbahnstraße, aber der perfekte Start für weitere Wanderungen auf São Miguel.

Verlassenes Hotel, zweifärbiger See

Ein Highlight für Abenteurer ist das verlassene Hotel mitten in den Bergen. Ende der 1990er-Jahre wurde das Luxushotel Monte Palace eröffnet, allerdings bereits 19 Monate später wieder geschlossen. Man erzählt sich, die Geister des Inselwalds hätten hier gespukt. Sie sollen den Blick auf die Seen und das Meer stets mit dichtem Nebel getrübt haben, sodass es die Gäste zurück an die Küsten gezogen hat. Wer es wagt, kann hier auf Entdeckungstour durch 88 Zimmer, Restaurants, Bars, einen Club, einen Friseur und eine Bank gehen. Man betritt über in Beton gegossene hohe Stiegen das Hotel, überall Graffiti, Möbel gibt es keine mehr, in der großen Lobby ist ein Schlammsee entstanden, die Wände sind mit Moos bewachsen, und hoch oben im fünften Stock blickt man durch glaslose Fenster auf den Sete Cidades, den zweifärbigen See. Ein Abenteuerspielplatz mit großartiger Aussicht.

Dieser Sete Cidades, die Hauptattraktion auf São Miguel, ist eine Caldera – ein Vulkankrater, mehr als 200.000 Jahre alt und durch einen schmalen Steg in zwei Seen geteilt. Blickt man vom Kraterrand hinab, erscheint der eine See blau, der andere schimmert grün. Der Legende nach standen zwei Liebende, eine Prinzessin und ein Schäfer, bei ihrem traurigen Abschied an genau diesem Gewässer, der sich angesichts deren Schmerz gleichsam trennte und die Farben ihrer Augen spiegelte – in der Lagoa Azul und der Lagoa Verde, der blauen und grünen Lagune.

Ribeira Grande

São Miguel wirkt wie eine gelungene Mischung aus Irland, Österreich, Sri Lanka und Griechenland. Dunkles Meer, schwarze hohe Klippen, weiß schäumende Wellen, Sandstrände, satte kräftige Farben, Kühe und Esel überall. Wolken, drastisch geschichtet und wie mit durchsichtigen Fäden in der Luft aufgehängt.

Im Norden der Insel liegt die zweitgrößte Stadt, Ribeira Grande. Sie ist eine der ältesten Städte auf São Miguel. Auf dem Fluss wurden vor langer Zeit Wassermühlen gebaut, aber Mitte des 16. Jahrhunderts von einem Vulkanausbruch zerstört. Noch heute schmücken die verfallenen Mühlen die Landschaft. Während portugiesische Volksmusik aus dem Radio klingt, geht es der Küste entlang, einer Wand aus schwarzen, mächtigen Felsen, an denen haushohe tödliche Wellen anbranden. An manchen Stellen wird sie durchbrochen von einem dunklen Vulkanstrand, an dem Dutzende Steintürmchen aufgeschichtet wurden. Unter Surfern ist die Stelle aufgrund des starken Wellengangs ein Geheimtipp. Man verweilt hier am besten noch eine Zeit lang in einem Café am Meer, neben den schwarzen Klippen, zum Beispiel im Café Com Sopas oder in der Tukátulá Bar.

Ananas und Tee

In der Nähe von Ribeira Grande befinden sich die Plantações de Ananases A. Arruda, eine der seltenen Indoor-Ananasplantagen weltweit. Dort kann man die Früchte in ihrer grünen, orangefarbenen, gelben und sogar lila Wachstumsphasen begutachten. Die Anlage aus Gewächshäusern ist klein, dafür kann man aber kostenlos durchspazieren.

Unweit von Ribeira Grande liegt auch die Chá Gorreana. Auf der ältesten Teeplantage der Welt spaziert man zwei Stunden lang durch ein Blättermeer aus Grün- und Schwarztee. Gemeinsam mit einer weiteren Teeplantage in Portugal und einer im englischen Cornwall sind es die drei einzigen in ganz Europa. Am Ende kann man es sich mit Kuchen, Eis oder Kaffee auf der Terrasse der Fabrik gemütlich machen.

Der Farol da Ponta do Arnel

Nicht weit entfernt, abgeschieden im Osten von São Miguel, steht der älteste Leuchtturm der Insel. In Nordeste leuchtet der Farol da Ponta do Arnel seit fast 150 Jahren den Schiffen ihren Weg. Es ist ein Ort von pittoresker Schönheit: Der achteckige Leuchtturm ist hoch in den Himmel an einen Klippenvorsprung gebaut, um den sich eine Straße mit 25-prozentiger Steigung nach unten schlängelt. Mit dem Auto hat man keine Chance, diese Straße hinunterzugelangen. Langsam im Zickzack geht man also zu Fuß die Straße Kurve für Kurve hinunter. Zuerst zum Farol, rund, aus weißem Stein mit rotem Dach, direkt unter ihm der Abgrund. Dann an vielen kleinen, bunten, leer stehenden in den Fels gehauenen Häuschen vorbei. Bis zum Meer, wo die Straße in dunkelgrauen Treppen und einem Anlegesteg endet. Verlassene Holzboote rotten hier vor sich hin. Es herrscht Frühlingsstimmung und wirkt, als müsse bald jemand kommen und diese verschlafene Ecke der Insel aufwecken. Aber noch ist es ganz ruhig. Es ist nichts zu hören, abgesehen vom Meer und kreischenden Möwen. Diese Szenerie erinnert an einen Märchenfilm. Die Anlegestelle ist verlassen, der Stein ist dunkel, warm und voll mit winzigen Muscheln. Die Wellen schlagen so stark gegen die Mauer, dass sie kleine Strudel nach oben bilden. Ein zauberhaft rauer Ort.

Die Bewohner von São Miguel schätzen ihre Insel und geben sehr gut auf sie acht. Saubere Straßen, bunte Blumenbeete, selbst am Straßenrand sieht man liebevoll gepflegte Gärten. Die Menschen sind freundlich, die Natur ist üppig, und die Farben erscheinen so kräftig wie im ewigen Frühling. Diese Insel hat eine Wildheit und Zartheit zugleich, weit entfernt von allem mitten im Atlantik zwischen Amerika und Europa. Hier mitten im Meer, kilometerweit entfernt vom Festland, kann man Sorgen gut zurücklassen. São Miguel ist eine sagenumwobene Insel, auf die man reist, wenn man eindrucksvolle Szenerien liebt, sich treiben lassen möchte, das Abenteuer sucht – und für eine Zeit lang innehalten will.

WEIT DRAUSSEN IM ATLANTIK

Azoren: Die Ilhas dos Açores liegen mitten im Atlantik und sind eine autonome Region von Portugal. Der Archipel umfasst neun größere und mehrere kleinere Inseln. Hauptinsel ist São Miguel, die Hauptstadt mit mehr als 68.000 Einwohnern Ponta Delgada.

Anreise. Von Lissabon nach Ponta Delgada mit den Azores Airlines, rund 2,5 Stunden Flugzeit.

Herumkommen: In Ponta Delgada ein Auto mieten.

Beste Reisezeit: Juni bis Oktober. Hochsaison ist im Juli und August, weil in dieser Zeit das Wetter sehr stabil und das Wasser, dank des Golfstroms, wärmer ist. Generell bleibt es auch im Winter mild. Im Dezember sind 17 Grad Durchschnitt.

Aktivitäten: Je nach Wetter, aber die meisten kommen zum Wandern, Surfen, ja, auch zum Schwimmen, Walbeobachten, Fahrradfahren oder bloß zum Entspannen. Auch Geotourismus und Vogelbeobachtung sind ein Thema hier.

Buchtipp: „The Islands of Magic: Legends, Folk and Fairy Tales from the Azores“ von E.L. Brock und Elsie Spicer Eells, 1922.

To-do-Liste der Autorin:

  • In einer der heißen Quellen entspannen.
  • Zum zweifärbigen See Sete Cidades fahren.
  • Durch die Teeplantagen Chá Gorreana spazieren.
  • Die Ananasplantagen Plantações de Ananases A. Arruda besichtigen.
  • Eine der vielen Wanderrouten ausprobieren.
  • Zu einem der schwarzen Vulkanstrände in Ribeira Grande fahren.
  • Ganz viel Fisch und Meeresfrüchte essen.
  • Feiertage checken – es gibt herrlich wunderliche Bräuche.
  • In Ponta Delgada die große Markthalle Marcado da Graça besuchen.

Cafés und Restaurants auf São Miguel:

Café Central, Casa da Rosa,

Agedas, Tukátulá Bar

Hotels auf São Miguel:

Hotel Alcides: freundliches einfacheres Haus in Ponta Delgada, zentral, https://alcides.pt

Hotel Ponta Delgada: sehr zentral, stilvoll eingerichtet, www.hotelpdl.com

Hotel Do Colegio: Vier-Sterne-Haus in einem restaurierten Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, www.hoteldocolegio.pt

Informationen: Visit Azores, www.visitazores.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2019)

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