Bettina Henkel: Den Wurzeln auf der Spur

Tiefe Verletzungen, Kriegserfahrungen und Mitläufertum: Das hat die Künstlerin Bettina Henkel auf ihrer Reise nach Lettland aufgespürt.
Tiefe Verletzungen, Kriegserfahrungen und Mitläufertum: Das hat die Künstlerin Bettina Henkel auf ihrer Reise nach Lettland aufgespürt.(c) Akos Burg
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Bettina Henkel spürt mit ihrem Vater in Lettland ihrer Familiengeschichte nach. Eine Reise, die Verdrängtes zutage bringt – und vererbte Traumata.

Das klinge jetzt dramatisch, sagt Bettina Henkel – aber die Arbeit an ihrem Film habe sie zwischendurch wirklich in große Verzweiflung gebracht: Lang habe sie gedacht, das würde niemals etwas werden, lang habe sie keinen Weg gefunden, wie sie diese Geschichte erzählen sollte – auch, damit sie nicht lediglich ein Einzelschicksal abbildet. „Sondern sie so zu erzählen, dass sie auch etwas Allgemeingültiges bekommt.“

Es ist eine zutiefst persönliche Geschichte, die die in Wien lebende deutsche Filmemacherin in „Kinder unter Deck“ erzählt: die ihrer Familie, der sie mit ihrem Vater, Helge, auf einer gemeinsamen, mitunter schmerzhaften Reise zu ihren Wurzeln in Lettland nachspürt. Von dort floh ihre Großmutter Helga, eine deutsch-baltische Ärztin, im Jahr 1939 mit ihrem Mann in das von den Deutschen annektierte Polen, wo ihr Vater geboren wurde.

Sehnsuchtsbild von Lettland

Dass Henkel, die das Medienlabor an der Akademie der bildenden Künste leitet, das filmisch verarbeiten würde, war irgendwie natürlich. Als ihr Vater sie vor zehn Jahren fragte, ob sie ihn zu einem historischen Kongress zum Thema Baltendeutsche nach Polen begleiten würde, wo er ihr auch sein Geburtshaus zeigen würde, war klar: Die Kamera kommt mit. Dass sie noch davor erkrankte – und sowohl ihr Vater als auch ihr Onkel dann vor Ort –, war tiefenpsychologisch wohl schon ein Indiz: Da steckt Schweres dahinter.

Was genau, das war für die 52-Jährige lang nicht klar. „Ganz vage“ sei das Wissen über ihre Familiengeschichte gewesen, sagt sie. Ihre Granny, wie sie die Großmutter nennt („Sie wollte nicht Oma sein, sie wollte die Grande Dame für uns sein“), zeichnete von Lettland „ein Sehnsuchtsbild der verlorenen Heimat“. Gleichzeitig sei irgendwann auch klar gewesen, dass da einiges sei, was sie nicht wisse. „Und dem bin ich dann nachgegangen.“

Was sie und ihr Vater – der sich ob des zerrütteten Verhältnisses mit „der Mutter“ lang dagegen gewehrt hat, sich mit den lettischen Wurzeln zu befassen – denn auf ihrer dreiwöchigen Forschungsreise durch den Nordosten Europas finden, ist eine teilweise verdrängte Geschichte: von tiefen Verletzungen in der Kindheit der Großmutter über Kriegserfahrungen und Flucht bis zu Mitläufertum in der Nazi-Zeit, als die Familie dann in Polen gelandet ist. Vieles davon wirkt noch nach.

Kinder nehmen Gefühle auf

Denn im Kern geht es in dem Film und auf der Reise um vererbte Gefühle, um Traumata, die über Generationen weitergegeben werden – ein Mechanismus, der nicht nur Henkels Familie betrifft. „Kinder nehmen diese Gefühle auf, aber sie können sie nicht benennen“, sagt sie. Manches davon hat sich auf der Reise aufgelöst: Als ihr Vater bei den verlassenen Gräbern der Familie in Lettland emotional wird, fällt die Last von ihr ab. „In diesem Moment musste ich nicht mehr trauern.“

Sich auf der Leinwand derart zu exponieren sei „tatsächlich nicht ganz angenehm“, sagt Henkel. Was ihr allerdings Mut gegeben habe, das zu zeigen, sei die Tatsache, dass diese Geschichte eben nicht nur ihre sei. „Es ist auch anderen so ergangen.“ Kürzlich habe etwa eine chinesische Studentin nach dem Film unter Tränen gemeint, dass das ja sozusagen ihre Geschichte sei. „Ganz viele Menschen kommen zu mir und sagen, dass sie das selbst auch erfahren haben.“

Zur Person

Bettina Henkel (52) ist Filmemacherin und leitet als Dozentin für Bildende Kunst/Neue Medien das Medienlabor an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Ihr aktueller Film „Kinder unter Deck“ läuft seit Freitag im Kino. In der Dokumentation arbeitet sie bei einer Reise nach Lettland – der Heimat ihrer baltendeutschen Großmutter – ihre Familiengeschichte auf. Am 15. Mai spricht sie nach einer Vorstellung mit der Traumatherapeutin Elisabeth Brainin, am Montag, den 20. Mai folgt eine Diskussion mit Historikerinnen. Jeweils 20.15 Uhr, Filmhaus am Spittelberg.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2019)

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