Kunstländermatch in Venedig: Ein Totenschiff kann nicht Kunst sein

Das Wrack eines Flüchtlingsschiffs bei der Biennale von Venedig: Starke Ansage oder doch berechnender und geschmackloser Betroffenheitskitsch?

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„Sehschlacht am Canal Grande“ nannte Alfred Schmeller, Kunstessayist und von 1969 bis 1979 Direktor des Wiener 20er-Hauses, die 1895 gegründete Urmutter aller Biennalen. Allein in der Eröffnungswoche, die vom Juni auf die wettermäßig nicht immer wonnige erste Maiwoche verlegt wurde, feiern und befeuern 40.000 Schlachtenbummler – Künstler, Sammler, Museumsdirektoren, Kuratoren, Galeristen sowie 5200 Berichterstatter aus aller Welt – dieses Kunstländermatch in der Lagunenstadt, von der Claude Monet einst ehrfürchtig gemeint hat, sie sei zu schön, um gemalt zu werden.

Zum Auftakt der Voreröffnungswoche bitten traditionellerweise Biennale-Präsident Paolo Baratta und der jeweilige Kurator, diesfalls Ralph Rugoff, zum Journalistenempfang in die Ca' Giustinian, die Biennale-Schaltzentrale am Canal Grande. Der Ausblick ist eine Wucht. Plötzlich Gedränge an der Balustrade. Vor der prächtigen Kulisse von San Giorgio wird ein Schiffswrack vorbeigeschleppt. Es ist das tunesische Flüchtlingsboot, das 2015 mit einem portugiesischen Frachter kollidiert und gesunken ist. Etwa 800 Menschen starben: Eine unfassbare Tragödie. Mit dem Proseccoglas in der linken Hand zücken die Kolleginnen und Kollegen ihre Smartphones. „Schon sehr berührend“ finden sie es und eine „coole Aktion“ des Schweizer Künstlers Christoph Büchel, der das Wrack aufs Biennale-Gelände verfrachten lässt. Wirklich? Oder ist es nicht eher geschmackloser und berechnender Sozial- und Betroffenheitskitsch, den man nur nicht so benennen will, weil man verständlicherweise nicht mit den Salvinis in einen Topf geworfen werden möchte, die sich im Vorfeld gehörig aufgeregt und nun sogar angekündigt haben, künftig Flüchtlingshilfe unter Strafe zu stellen? Immunisiert rechtsextreme Herz-, Hirn- und Gewissenlosigkeit gegen Kritik? Viele Medien fanden Büchels Aktion „eine starke Aussage“, die „NZZ“ nicht: „Das ist geschmacklos. Daher wäre es zu wünschen, dass die Besucher der Biennale Christoph Büchel nicht auf den Leim kriechen und sich Regungen falscher Betroffenheit verweigern.“

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