Die Illusion vom großen deutschen Abschwung

Bundesfinanzminister Olaf Scholz
Bundesfinanzminister Olaf Scholzimago images / photothek
  • Drucken

Europas größte Volkswirtschaft schwächelt. Eine hochkarätige Expertenrunde gibt nun aber Entwarnung. Eine Volkswirtin rechnet schon heuer mit einem „Jahr des Aufschwungs". Doch ein gewaltiges Problem bleibt.

Kaum ein Platz ist noch frei in der österreichischen Botschaft in Berlin -  und das bei einer Podiumsdiskussion werktags zur Mittagszeit. Titel: „Wie geht es weiter mit dem Wachstum?“ Das Thema trifft ganz offensichtlich einen Nerv. Österreichs wichtigster Handelspartner schwächelt. Die offiziellen Wachstumsprognosen für Deutschland wurden auf magere 0,5 Prozent halbiert, die Steuerschätzung dramatisch nach unten korrigiert. „Die fetten Jahre sind vorbei", sagt Finanzminister Olaf Scholz immer wieder. Oder?

Natürlich, die großen Handelskonflikte schüren „Unsicherheit". Und das drücke gerade in Deutschland die Investitionsbereitschaft, sagt der gebürtige Oberösterreicher Gabriel Felbermayr, der im März zum Chef des renommierten Instituts für Welthandel in Kiel aufgestiegen ist. Dass Deutschland für diese neue Gefühlslage „besonders anfällig“ ist, wie er sagt, liege an der Offenheit der deutschen Wirtschaft und ihrer starken Ausrichtung auf Investitionsgüter. Die Zurückhaltung bei Investitionen spürten etwa die deutsche Anlagenbauer verstärkt. Und dann ist da noch die Dieseldebatte mit ihren ungeklärten regulatorischen Fragen: „Kann man sich noch ein Diesel-Auto kaufen?“ Das führe zu einer „Kaufzurückhaltung".

Ein Handelskonflikt als Chance für Europa?

So weit, so beunruhigend. Doch schon die Auswirkungen des jüngsten Handelskonflikts zwischen den USA und China auf Deutschland ließen sich kaum prognostizieren, wie Felbermayr einräumt. „Denn es könnte durchaus so sein, dass wir in Europa mittel- und langfristig sogar profitieren, wenn die Chinesen ihren Markt für die Amerikaner zumachen. Das könnte auch eine Chance sein.“

Freilich bleiben globale Handelskonflikte ein Quell der Unsicherheit, aber ansonsten gibt ein Diskutant nach dem anderen Entwarnung, was die deutsche Konjunktur angeht: Es handle sich nur um eine „Wachstumsdelle", sagt etwa Martin Kocher, Chef des österreichischen Instituts für Höhere Studien (IHS). Und nach dem langen Aufschwung sei er sogar „eher überrascht, dass die Abwärtstendenz gar nicht so stark ist".

Vor der Finanzkrise war Konjunktur kein Thema

Der Chefökonom des deutschen Finanzministeriums, Jakob von Weizsäcker, sieht das ähnlich: „Der ganz große Einbruch zeichnet sich überhaupt nicht ab." Das große Interesse im Saal erstaunt ihn. Er erklärt es sich mit der Finanzkrise: „Davor interessierte man sich fast gar nicht mehr für Konjunktur". Und Gertrud Traud, Chefvolkswirtin der Landesbank Hessen-Thüringen wundert sich überhaupt über die ganze Diskussion und stellt die These auf: „2019 wird ein Jahr des Aufschwungs, der 2020 noch einmal an Fahrt aufnimmt.“ Die aktuellen Prognosen seien nämlich mit dem „Blick in den Rückspiegel“ erstellt worden. Im dritten und vierten Quartal 2018 war Deutschlands Wirtschaft nicht mehr gewachsen. Aber schon für das erste Quartal dieses Jahres zeichne sich ein Wachstum von mindestens 0,4 Prozent ab. Für das Gesamtjahr rechnet Traud mit 1,3 Prozent und nicht mit 0,5 Prozent Wachstum.

Von einem Konjunkturpaket rät die Runde ab. Da ist man sich einig. Denn es gebe ja immer noch starke Faktoren, die die Konjunktur antreiben, sagt IHS-Chef Kocher und zählt auf: eine sehr expansive Geldpolitik, relativ gute Lohnabschlüsse und keine großen Preiserhöhungen bei Ressourcen.

Langfristig freilich könnten Gewitterwolken über Deutschland aufziehen. Denn Österreichs wichtigster Exportmarkt hat vielleicht kein dauerhaftes Konjunktur- aber ein Strukturproblem. Als Beispiele nennt Felbermayr den Zustand der Straßen und Schulen, also die Infrastrukturmisere. Auch bei den Nettoinvestitionen der Unternehmen hinkt Deutschland im internationalen Vergleich hinterher. Aber das ist eine andere Geschichte.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Exportweltmeister Deutschland im Aufwind
International

Deutschland: "BIP-Plus kein Grund zur Entwarnung"

Dank der guten Binnenkonjunktur hat die deutsche Wirtschaft auf den Wachstumspfad zurückgefunden. Für eine Entwarnung sei es noch zu früh, so Experten.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.