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Arbeitslose Chefs – wenn Manager den Job verlieren

Es trifft auch sie, und wenn, dann besonders hart: Führungskräfte fallen tief, wenn sie abgebaut werden. Auf den Schock folgt oft die Ernüchterung. Viele schaffen es nicht wieder ins Management und satteln komplett um. Eine Reportage.

Die Firma war Brigitta Schwarzer immer wichtig. Sie reiste viel, war verfügbar. Als ihr erster Sohn geboren wurde, ging sie nicht in Karenz. Sie engagierte ein Kindermädchen und eine Haushälterin und machte weiter. Aber dann, im Jahr 2002, Schwarzer war 44 Jahre alt, wurde aus der Firma eine Holding. Und ihr Bereich wurde eine Tochtergesellschaft. Schwarzer wollte Vorständin werden. „Ich habe mich damals in eine blöde Situation manövriert“, sagt sie heute. Sie stellte ihrem Vorgesetzten ein Ultimatum: „Ich sagte, entweder ich bekomme den Job oder ich gehe.“ Sie bekam ihn nicht. Und ihren alten Job war sie los.

Wenn man an Arbeitslose denkt, dann eher nicht an Menschen wie Brigitta Schwarzer. Aber auch Manager verlieren ihre Jobs. 2018 waren 11.419 Führungskräfte beim Arbeitsmarktservice (AMS) als jobsuchend gemeldet, davon waren 4877 Frauen. Darunter fallen Geschäftsführer, Marketing-Manager, Projektmanager, Direktoren, Betriebsinhaber. Die Zahlen sind aber nur bedingt aussagekräftig, wie man beim AMS betont: Weil arbeitslose Personen auch in anderen Berufsgruppen wie Juristen, Technikern und Ärzten Führungspositionen innegehabt haben könnten, aber nicht als solche ausgewiesen werden. Die Dunkelziffer dürfte dadurch steigen, dass sich viele gar nicht beim AMS melden. Weil sie erst einmal von ihrer Abfertigung oder ihren Ersparnissen leben und glauben, dass es ohnehin nichts bringt.

Auch Schwarzer, die elegante 60-Jährige, hat sich nie beim AMS gemeldet. Sie hat nach ihrem Ausscheiden bei Kapsch gut verhandelt und ein Jahr bei vollen Bezügen Zeit bekommen für die Suche nach einem neuen Job. Aber die erste Zeit war trotzdem hart. „Ich war in einer privilegierten Situation. Aber wenn man sehr lang in einem Unternehmen war, hat man kein gutes Jobprofil. Ich habe plötzlich gemerkt, dass ich nicht einmal weiß, wofür ich mich bewerben soll.“ Sie kontaktierte 13 Headhunter und drei Outplacement-Berater. Sie nahm an Bewerbungstrainings teil, peppte ihren Lebenslauf auf. Sie sparte nicht, sondern investierte in ihr Selbstbewusstsein und ihr Auftreten. „Ich habe mehr ausgegeben als sonst. Da war auch der eine oder andere Schuhkauf dabei.

Das ist ganz wichtig, weil man ausstrahlen muss, dass man sich gut fühlt“, sagt Schwarzer. Sie schickte Blindbewerbungen an Großkonzerne. Und wurde auch rasch zu Bewerbungsgesprächen eingeladen. „Ich war schon interessant für Unternehmen, es gab damals noch nicht so viele Frauen in gehobenen Positionen.“ Genützt haben ihr letztlich Kontakte aus ihren Berufsjahren bei Kapsch. Der damalige Immofinanz-Chef Karl Petrikovics suchte eine Managerin für die Abwicklung großer Immobilientransaktionen. Er habe ihr vom Fleck weg ein Jobangebot gemacht. Es lag etwas unter ihrem früheren Einkommen. „Aber schon im zweiten Jahr habe ich mehr verdient als in meinen letzten Jahren bei Kapsch.“

Hart war es nach 19 Jahren im Unternehmen auch auf der Gefühlsebene. „Kapsch war ein wesentlicher Bestandteil meines Lebens. Ich habe ein Jahr gebraucht, um mich emotional von der Firma zu lösen.“ Heute leitet Schwarzer die Aufsichtsratsplattform Inara. Rückblickend sei sie dankbar für ihre damals missliche Lage. „Weil mir im Job schon ein bisschen langweilig war. Es war gut, dass ich gegangen bin.“


Suche bei Mittelständlern. Für Brigitta Schwarzer ist es gut ausgegangen. So ist das nicht immer. Wenn Manager den Job verlieren, dann fallen sie besonders tief – und besonders hart: Oft waren sie schon lang in der Firma, haben sie mit aufgebaut, sich hoch gearbeitet, sich dort einen Namen gemacht. Aber das alles zählt draußen, auf dem Arbeitsmarkt, wenig. Vor allem wenn man schon auf die 50 zugeht. Es gibt zu viel junge Konkurrenz, zu wenig Interesse am Expertenwissen. Man muss sich plötzlich wieder vermarkten.

Und genau das haben viele über die Jahre verlernt, sagt Josef Siess. Er leitete 17 Jahre lang ein Programm für arbeitslose Führungskräfte beim AMS. „Euspug“ wurde mittlerweile eingestellt. Jetzt coacht er arbeitslose Akademiker und Führungskräfte beim Erwachsenenbildungsinstitut BFI. „Die meisten Manager haben nie gelernt, einen Lebenslauf zu schreiben“, sagt Siess. Er beriet Führungskräfte vom einfachen Abteilungsleiter bis zum Bankdirektor. Er schätzt, dass es um die 6000 waren. Viele aus einer Generation, die teilweise noch völlig analog arbeitete und sich die digitalen Agenden, von der Powerpoint-Präsentation bis zur Terminvereinbarung per E-Mail, von der Assistentin abnehmen ließ. Viele seien direkt von der Universität abgeworben worden.

Manager seien so mit Arbeit beschäftigt, dass oft keine Zeit für die Arbeit an ihrer Marke und ihrem Netzwerk bliebe. Wenn sie plötzlich ihren Job los sind, stehen viele erst einmal unter Schock. Er hat ein paar essenzielle Ratschläge für sie: Immer den aktuellen Lebenslauf parat haben – beginnend mit der aktuellsten Tätigkeit. Immer im Gespräch bleiben. Und wenn der Job weg ist: Auf jeden Fall beim AMS melden, allein wegen der Versicherung. Vor allem auf dem „verdeckten Arbeitsmarkt“ suchen: Initiativbewerbungen bei Mittelständlern brächten mehr als Bewerbungen auf Stellenausschreibungen von Großkonzernen.


Immer jünger. Das weiß auch Thomas Wychodil, Leiter des AMS–Akademikerzentrums. Es gebe mittlerweile einen erheblichen Anteil älterer Akademiker. Mit „älter“ meint er 45 plus. Sie tun sich bekanntlich schwerer. „Da muss man aufpassen, weil man oft schon ausgesiebt wird, sobald man das Alter auf der Bewerbungsplattform eingibt. Ohne es zu merken.“ Auch Wychodil rät, sich besser direkt bei Unternehmen zu bewerben und „rein digitale“ Plattformen zu meiden.

Manager-Trainer Josef Siess beobachtet aber auch, dass die gekündigten Führungskräfte immer jünger werden. Es trifft sie, wenn Unternehmen fusioniert werden oder Start-ups nicht reüssieren. „Man muss ständig vorbereitet sein“, sagt Siess. Und hat auch eine Anekdote parat, die die persönliche Misere vom plötzlich arbeitslosen Chef – oder der Chefin – veranschaulicht. Einige Male hätten ihn Vorstandsgattinnen angerufen mit der Bitte, ihrem Mann zu helfen. „Dann habe ich gefragt: Gnädige Frau, haben Sie schon einmal gearbeitet? Und sie sagte: Nein, ich habe ja einen Vorstand geheiratet. Sie konnte es nicht ertragen, dass dieser Vorstand nun arbeitslos war und zu Hause herum saß.“ Viele seien auch bereit, auf einen Gutteil des Gehalts zu verzichten, um wieder Arbeit zu finden. Ein Vorteil für Ältere könne sein, dass sie Hauskredite oft schon abbezahlt haben, die Kinder aus dem Haus seien. „Dann kann man sich überlegen, was einem wirklich Spaß macht.“


Ein Jahr bis zum neuen Job.
Reinhard Schellner hat seinen Beruf schon an viele Orte gebracht: Nach Basel, Riad, Nairobi, Manila. Bis ihn das Leben zum Arbeitsmarktservice führte. Der erste große Bruch kam 2000, da war er 44 Jahre alt, Manager für Novartis auf den Philippinen, und seine Tochter hatte gerade mit der Volksschule begonnen. „Es wurden zwei Firmen zusammengeschlossen, ein Geschäftsführer blieb übrig. Mit der Person hat das nichts zu tun“, sagt Schellner abgeklärt. Er mochte das Leben als Expat, wollte nicht zurück nach Hause. Er heuerte bei Bayer an, dann bei einer US-Konsumgüterfirma und übersiedelte nach Chicago. 2008 war sein Vertrag zu Ende. Und damit auch seine Managerlaufbahn. Er versuchte es bei einem Start-up, wurde gekündigt, meldete sich beim AMS. Freilich, finanziell war das sinnlos. Da er rund um die Welt gearbeitet hatte, hatte er kaum Anspruch auf Arbeitslosengeld. „Der normale AMS-Berater kann nichts für mich tun“, sagt Schellner, und hat damit recht: Beim AMS lässt man Akademiker anfangs eher in Ruhe, weil man ihnen eine „hohe Selbsthilfekompetenz“ zuschreibt. Die meisten von ihnen finden rasch wieder einen Job. Aber männliche Führungskräfte über 50 Jahren gehören zu den schwierigsten Kunden der Arbeitsvermittler, wie AMS-Chef Johannes Kopf einmal erzählte: Sie seien zu wählerisch, würden zu lang nach einer gleichwertig gut dotierten Stelle suchen. Sein Rat: Besser gleich zu suchen beginnen, als erst einmal ausgiebig Urlaub machen.


Schock, Aggression, Wut. 70 Prozent der Arbeitssuchenden finden binnen drei Monaten einen Job, so das AMS. Bei Führungskräften dauere es deutlich länger, sagt Walter Reisenzein von der Outplacement-Firma OTM Karriereberatung. Er unterstützt Firmen während des Personalabbaus. „Je älter, je höher in der Hierarchie, je länger bei der Firma, desto länger dauert es“, sagt Reisenzein, der selbst mit Ende 50 seinen gut bezahlten Manager-Job bei Kodak verloren hat. Er nennt eine Formel aus den USA als internationale Benchmark: Das Bruttojahresgehalt inklusive Boni dividiert durch 13.000. So lang brauchen Führungskräfte mindestens, bis sie eine neue Stelle finden. Bei 100.000 Euro Bruttojahresgehalt sind das knapp acht Monate. Und da ist noch nicht gesagt, dass es der Traumjob mit Traumgehalt ist. „Sondern einer, den ich akzeptiere.“ Einige Betroffene würden sagen, sie müssten eh nicht mehr so viel verdienen, sie machen jetzt etwas, das sie erfüllt, das ihnen Spaß macht. „Aber wenn sie dann hören, dass der Gehaltsunterschied zwischen einem Führungsjob in der Pharmabranche und einem Non-Profit-Unternehmen 40 Prozent sind, schaut die Sache anders aus.“ Viele seien nicht bereit, die Stadt zu wechseln. Dann kann es schwierig werden. Reisenzein hat nach Kündigungen die ganze Bandbreite an Emotionen erlebt: Schock, Aggression, Abgeklärtheit, weil man mit der Kündigung gerechnet hat. „Manche zeigen überhaupt keine emotionale Reaktion“, sagt Reisenzein. Und dann gibt es die ganz harten Fälle, in denen Menschen mit Suizid drohten, falls sie gekündigt werden. Etwa drei Mal im Jahr sei er damit konfrontiert.
Manfred Gärbers erste Reaktion war Wut. Im März 2015 verlor er seinen Job als Verwaltungsleiter bei einem großen Lebensmittelhändler in Niederösterreich. „Ich hätte mir viel vorstellen können: Langsames Aufhören, Beratung, Neuorientierung. Aber nach zwölf Jahren in der Firma von einem Tag auf den anderen die rote Laterne zu bekommen, das konnte und wollte ich nicht verstehen.“ Der heute 59-Jährige wählte den Gang zum Arbeitsgericht und erstritt 30.000 Euro. Seine Frau kam für den Familienunterhalt auf, er ging auf Jobsuche. „Nach 300 Bewerbungen hörte ich auf, mich vorzustellen.“ Das war im Juli 2017. Gärber befand, er brauchte keinen Chef mehr. Und machte sich selbstständig als Vermittler von Personenbetreuern. Er sieht sich seinen Bekannten, die sich stark über den Job definieren, einen Schritt voraus. „Irgendwann werden sie auch erkennen müssen, dass sie für die Firma nicht wesentlich sind und fallen gelassen werden so wie ich.“

Auch Reinhard Schellner erhielt „lauter höfliche Absagen“, obwohl er zu Gehaltseinbußen bereit war. Er machte sich selbstständig, investierte viel Geld in Weiterbildung. Heute ist er Gutachter und internationaler Unternehmensberater und leitet die Geschäfte des Blinden- und Sehbehindertenverbands in Wien. Existenzängste habe er eigentlich nie gehabt. „Wenn man bei einer großen Firma eine leitende Position hat, ist es klar, dass man dort nicht für immer überlebt.“

In Zahlen

11.419

Führungskräfte waren im Jahresdurchschnitt 2018 beim AMS arbeitslos gemeldet (inklusive Schulungsteilnehmer). Die Zahlen sind aber nur bedingt aussagekräftig – auch in vielen anderen Berufsgruppen wie Ärzte, Juristen und Techniker können Arbeitslose Führungspositionen gehabt haben, die aber nicht als solche ausgewiesen werden.

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Tausend Arbeitslose gab es Ende April in Österreich (inklusive Schulungsteilnehmer). Davon waren rund 103.000 50 Jahre oder älter. 28.200 waren Akademiker.


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