Grunting, Bubi-Pop, Mittelmaß: So war das erste Song-Contest-Halbfinale

Belgien probierte es erneut mit jungen Talenten, Eliot lieferte mit "Wake Up" aber eine unterdurchschnittliche Performance.
Belgien probierte es erneut mit jungen Talenten, Eliot lieferte mit "Wake Up" aber eine unterdurchschnittliche Performance.APA/AFP/JACK GUEZ
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Lange nicht mehr war eine Song-Contest-Show dermaßen von Absurditäten geprägt. Das kann man mit Humor nehmen. Rohdiamanten gab's am Dienstag nur wenige, sie schieden großteils aus.

Man hätte sich gewünscht, Paenda hätte schon am Dienstagabend in Tel Aviv mitgesungen. Denn der Dienstag war jetzt nicht gerade ein Prachtstück von Song-Contest-Halbfinale. Song-Contest-Hasser hätten ihre Freude gehabt, hätten sie zugesehen. In der Masse von Übertriebenheit, Inszenierungssucht und Song-Einheitsbrei gab es nur wenige interessante Beiträge. Und nicht alle von ihnen schafften es ins Finale. Jedoch bot das Halbfinale auch Vieles, worüber man in der Früh in der Arbeit reden kann. 

Eine der Lehren aus dem Halbfinale am Dienstag: Man mag sich im Vorhinein zwar seine Meinung über die Songs bilden, aber live ist das immer wieder ein Neustart. Manche Sänger sind den Kompositionen nicht gewachsen, manche wirken völlig deplatziert in ihren aufpolierten Songs. Die Nervosität hat am Dienstag wieder vielen Sängern einen Strich durch die Rechnung gemacht. Der schwedische Schönling für Estland hat genauso heftig gepatzt wie der Jungspund aus Belgien. Das war teils richtig schlecht gesungen.

Im Finale am Samstag mit dabei sind:
Griechenland, Weißrussland, Serbien, Zypern, Estland, Tschechien, Australien, Island, San Marino, Slowenien

Ausgeschieden sind:
Montenegro, Finnland, Polen, Ungarn, Belgien, Georgien, Portugal

Wer konnte überzeugen?

Ungarns Joci Pápai zeigte eine starke Stimme mit einem berührenden Song - und flog raus. Island und Australien versuchten es mit Absurdität - und kamen weiter. Hatari aus dem hohen Norden versuchten es mit Hardcore-Grunting in Lack und Leder, Opernsängerin Kate Miller-Heidke vom anderen Ende der Welt mit Stilmix und Zirkus-Einlage. Man sah und hörte zwar staunend zu und merkte sich die Performance, doch der Song war rasch vergessen.

Aus der Mainstream-Ecke konnte Tschechien mit Bubi-Pop von Lake Malawi ("Friend of a Friend“) einen ganz netten Song vorlegen. Aber bei der Bühnenperformance gibt's noch Aufholbedarf.

Griechenland und Zypern schicken durchaus interessante Frauenstimmen ins Finale - mit wenig herausragenden Songs. Zypern hat dabei definitv mehr Top-Ten-Chancen als Griechenland, dessen Beitrag etwas überinszeniert wirkt.

Und dann wäre da noch der serbische Beitrag, der zwar eine klischeehafte Power-Ballade ist, die aber stark von Nevena Božović dargeboten wird. Pathetisch, übergestikulierend, aber irgendwie überzeugend - ausreichend für ein Song-Contest-Finale.

Stichwort Windmaschine: Wie war das diesmal mit den Song-Contest-Klischees?

Klischees gibt es ja nicht ohne Grund. Die LED-Wände und -Element im Boden ermöglichten den Kreativen und Choreographen der Länder wieder viele Möglichkeiten. Aber die Klassiker sterben nicht aus. Zypern probierte es mit einem Kostümwechsel mitten im Lied, Montenegro lieferte im Anschluss gleich einfach einen grottenschlechten Song - gehört auch dazu.

Serbien sparte nicht mit den Windmaschinen. Akrobatik und Getanze gab's en masse. Und auch ohne Riesentrommeln geht nichts beim ESC, Belgien versuchte damit verzweifelt von der schwachen Performance von Eliot abzulenken.

Ein neuer Schmäh ist das Spiel mit zugespielten Aufnahmen aus Proben. So verschwand mit einem Schnipp die Gitarre des für Estland singenden Schweden Victor Crone. Das geht nur mit Bildmaterial aus der Konserve.

Und dann gäbe es da noch das Klischee „Auffallen um jeden Preis“: Island, Portugal - was genau war das?

Wer hätte weiterkommen sollen?

Polen, weil das Folklore-Element in einem starken Song wirklich gut integriert war. Vielleicht hätte man sich eine modernere Präsentation überlegen sollen.

Ungarn, weil Joci Pápai wirklich schön singt und eine Botschaft für seine Zuseher hat.

Belgien, trotz schlechter Gesangsperformance, war der Song doch ganz in Ordnung und besser als manch anderer Finalteilnehmer.

Wer hätte ausscheiden sollen?

Slowenien, weil Elektropop im Hipster-Style nicht automatisch modern ist.

Weißrussland, weil Instagram-Bubblegum-Pop ohne Herz mit Sängerin ohne Variationskraft nichts im Finale zu suchen hat.

Estland. Wer so viele Töne schmerzhaft daneben setzt wie Victor Crone, darf nicht weiterkommen - Zahnpastalächeln und Shampoo-Werbungs-Frisur zum Trotz.

San Marino, weil... einfach nein! San Marino ist ein Ärgernis im Finale.

Was ist sonst noch passiert?

Nicht viel. Es gab keine offensichtlichen Pannen, keine Skandale. Nur Musik von allerlei Qualität und Geschmack.

Vier Moderatoren moderierten Moderationssätze aus dem Moderationsbaukasten für Song-Contest-Moderatoren. Model und Ex-Freundin von Leonardo di Caprio, Bar Rafaeli, war eine des israelischen Quartetts. In den Interviews mit den Teilnehmern der Final-Fixstarter gegen Ende der Show wirkte man eher gestresst und wenig aufs Gegenüber eingehend. Österreich war bei der Über-Anzahl der Moderatoren ürigens leider Vorreiter. 

Können Sie sich noch an den Siegersong aus dem letzten Jahr erinnern? Der erklang gleich zu Beginn der Dienstags-Show. Netta präsentierte „Toy“ - aber ohne die umstrittene Hookline, die verdächtig nach „Seven Nation Army“ von den „White Stripes“ klang. Dabei ist Jack White nach einem Gerichtsstreit sogar zu einem der Mitkomponisten gemacht worden.

Und noch einen zusätzlichen musikalischen Beitrag gab es in der Voting-Pause. Dana International, die israelische ESC-Siegerin aus dem Jahr 1998, sang „Just The Way You Are“ und forderte zum kollektiven Schmusen auf.

Slowenien musste bei der Verkündung der Finalteilnehmer am längsten Zittern. Island reagierte auf den Aufstieg betont gelassen und Hatari starrten aggressiv-gelangweilt in die Kameras.

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