Neues Album von Weyes Blood: Songs zum Untergang

Merings Stimme strahlt auf „Titanic Rising“ wie nie zuvor: Die neuen Songs der 30-Jährigen schwanken angesichts der ökologischen Katastrophe zwischen Zweifel und Hoffnung.
Merings Stimme strahlt auf „Titanic Rising“ wie nie zuvor: Die neuen Songs der 30-Jährigen schwanken angesichts der ökologischen Katastrophe zwischen Zweifel und Hoffnung.(c) Kathryn Vetter Miller
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Auf „Titanic Rising“ navigiert Natalie Mering alias Weyes Blood durch Krisen unserer Zeit. Und lässt den Softrock der 1970er-Jahre frisch klingen.

Natalie Mering eröffnet ihr neues, viertes Album als Weyes Blood mit einem sehnsüchtigen Blick zurück: „If I could go back to a time before now / Before I ever fell down / Go back to a time when I was just a girl“, singt die 30-jährige US-Songwriterin im Song „A Lot's Gonna Change“, nur begleitet von einem sanften Piano, bevor dieser zu majestätischer Größe anschwillt, mit dramatischen Streichern, Backgroundgesang und dem Aufruf: „Try to leave it all behind“.

Ist es der Wunsch, den Wirren unserer Tage zu entfliehen? Sich wieder beschützt zu fühlen wie als Kind? Das Abtauchen in früheste Erinnerungen passt jedenfalls zum Albumcover von „Titanic Rising“: Es zeigt Mering im Kinderzimmer, das bis zur Decke unter Wasser steht. Mit Teddybär, Uraltnotebook und Postern an der Wand.

Wie Schätze aus den Pop-Archiven

Das Cover kündet aber vor allem auch von Erderwärmung und steigendem Meeresspiegel. Mering zieht in Interviews eine Parallele zur titelgebenden Titanic: Deren Untergang sei genauso wie der Klimawandel in der Überheblichkeit des Menschen gegenüber der Natur begründet. Ihre Reflexionen über das Leben und Lieben im Angesicht der ökologischen Katastrophe schwanken zwischen Zweifel und Hoffnung. Der Gegenwart begegnet sie dabei auch mit Mitteln der Vergangenheit: Für ihre Songs über Kapitalismusverlierer, Technologieabhängigkeit, spirituelle Leere oder Romantik in Zeiten von Tinder greift sie auf die Soundpalette des Softrock der frühen 1970er-Jahre zurück. Das passt, haben ihre Songs doch immer schon geklungen wie verschollene Schätze aus den Archiven des Pop. Nicht zuletzt dank ihrer zeitlos schönen Stimme.

In ihren experimentellen Anfangstagen war diese noch verschüttet unter Schichten von Lärm. Auf „Titanic Rising“ lässt Mering sie nun strahlen wie nie zuvor. Bewegend etwa, wie sie im gleichnamigen Song die Zeile „Something to believe“ immer wieder wiederholt: zum flehentlichen Mantra, auf der Suche nach „something bigger and louder than the voices in me“. Auch im zart schwellenden „Andromeda“ sucht sie nach Orientierung: „Looking up to the sky for something I may never find.“

„Titanic“ war ihr Religionsersatz

Als Teenager waren Filme wie James Camerons „Titanic“ ihr Religionsersatz. „The meaning of life doesn't seem to shine like that screen“, singt sie heute in „Movies“. Ganz so, als würde sie sich danach sehnen, dass ihr Leben wie ein Film ablaufen würde. Im Video dazu sieht man eine Frau durchs Wasser gleiten. Passend zu den blubbernden Synthesizerklängen, die den Song zu Beginn so herrlich schwerelos machen. Erst später merkt man, dass es sich um einen Film handelt, gezeigt in einem vollen Kinosaal, dessen Besucher nach und nach hinter die Leinwand stürmen. Und selbst in den Film eintauchen. Dieser zentrale Song ist beides: Ode an die Magie des Kinos und Kritik an dessen manipulativer Kraft. Seine orchestrale Kraft ist Hollywoods Pathos beinahe ebenbürtig.

Bevor es aber zu opulent, zu barock oder allzu nostalgisch wird, spinnt Mering meist (elektronische) Klänge des Unbehagens in ihre Songs. Oder würzt sie mit psychedelischen Noten. Das instrumentale Titelstück „Titanic Rising“ wiederum ist so traumwandlerisch, so ozeanisch, dass man nicht nur meint, Wale aus der Ferne zu hören, sondern sich ein klein wenig ausmalen kann, dass die Titanic tatsächlich wieder aufsteigt. Immerhin: ein Funke Zuversicht auf diesem Album, das meisterlich durch die großen und kleinen Krisen unserer Zeit navigiert.

Weyes Blood: „Titanic Rising“ Sub Pop
Weyes Blood: „Titanic Rising“ Sub Pop

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2019)

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