EU-Ratsvorsitz

Rot-weiß-rote Duftmarken in der EU

Ein Ratsvorsitz als Fotokulisse: Die Staats- und Regierungschefs der EU bei ihrem Treffen in Salzburg im September 2018.
Ein Ratsvorsitz als Fotokulisse: Die Staats- und Regierungschefs der EU bei ihrem Treffen in Salzburg im September 2018.(c) Daniel Novotny
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Dass Österreich den Zeitgeist zu deuten versteht, bewies der EU-Ratsvorsitz 2018, der ganz im Zeichen des (Grenz-)Schutzes stand – und sich nichtsdestotrotz mit dem Brexit herumschlagen musste.

Ein Europa, das schützt – so lautete das Motto des österreichischen EU-Ratsvorsitzes in der zweiten Hälfte 2018. Zwar sind die Zeiten, in denen ein Vorsitzland nicht nur flüchtige Duftmarken, sondern auch konkrete inhaltliche Schwerpunkte setzt, seit der letzten EU-Reform samt Etablierung einer permanenten Ratspräsidentschaft de facto vorbei. Doch kann ein Vorsitzland, das die Zeichen der Zeit richtig zu deuten versteht, als Verkörperung ebendieses Zeitgeists auftreten. Der österreichische Schwerpunkt und die Betonung der Sicherheitsfrage und des Grenzschutzes war somit eine klare Folge des Traumas von 2015, als mehr als eine Million Flüchtlinge und Migranten die Außengrenzen der Union überwanden.

Auch das informelle Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Salzburg im September 2018 war ein solcher Kristallisationspunkt – und zwar im Zusammenhang mit dem Brexit: Bei dem Gipfel zeigte sich zum ersten Mal in aller Deutlichkeit, wie weit die Position der Europäer und die Vorstellungen der britischen Premierministerin Theresa May voneinander entfernt lagen. Die inhaltliche Kluft hinsichtlich der Modalitäten des britischen EU-Austritts, die bis dahin mehr schlecht als recht übertüncht werden konnte, wurde schlagartig sichtbar. Spätestens seit dem Brexit-Disput von Salzburg befinden sich die britisch-europäischen Verhandlungen im permanenten Krisenmodus.

Als EU-Mitglied war Österreich in mindestens einer Hinsicht ein absoluter Vorreiter – nämlich in der Frage des Umgangs mit Anti-Establishment-Parteien, die den institutionellen Status quo offen infrage stellen. Vor knapp 20 Jahren stürzte Österreich die Union in eine veritable Krise, als der damalige Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) mit der FPÖ von Jörg Haider im Februar 2000 eine Regierungskoalition fixierte. Eine rechtspopulistische Partei, die in einem EU-Mitgliedstaat mitregierte, war ein absolutes Novum. Die übrigen 14 Unionsmitglieder reagierten auf Schwarz-Blau, indem sie einen Cordon sanitaire rund um Österreich spannten und bilateral diplomatische Sanktionen verhängten – die sich im Nachhinein als sinn- und zwecklos erwiesen, sodass die EU-14 nach einem gesichtswahrenden Ausweg aus dem Schlamassel suchen mussten und in Folge einen dreiköpfigen Weisenrat mit der Aufgabe betrauten, die ÖVP-FPÖ-Koalition unter die Lupe zu nehmen.

Nachdem die drei Herren (der Finne Martti Ahtisaari, der Spanier Marcelino Oreja sowie Jochen Frowein aus Deutschland) zu dem Schluss kamen, dass die europäischen Grundwerte in Österreich nicht bedroht waren, konnten die Sanktionen Ende 2000 aufgehoben und die bilateralen Kontakte zwischen Regierungsvertretern Österreichs und der restlichen EU wieder normalisiert werden.

Wiedersehen mit dem Ex-Kanzler

Zwei Jahrzehnte nach dem schwarz-blauen Schock und angesichts der (national-)populistischen Regierungen in Italien, Polen und Ungarn und vor dem Hintergrund des Brexit und eines US-Präsidenten Donald Trump wirken die damaligen Bedenken und Berührungsängste hoffnungslos antiquiert. Doch in einem Punkt war das Beispiel Österreich durchaus lehrreich – nämlich was den Einsatz von Weisenräten anbelangt. Als die Europäische Volkspartei im Vorfeld der Europawahl 2019 überlegte, wie mit dem zunehmend illiberal agierenden EVP-Mitglied Viktor Orbán umzugehen sei, kam sie rasch auf die Idee, die Mitgliedschaft der ungarischen Regierungspartei Fidesz zu suspendieren und drei Weisen nach Budapest zu entsenden, um die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn auf Herz und Nieren zu prüfen. Einer der Mitglieder dieser EVP-Abordnung ist übrigens Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel.

Doch zurück zur Rolle Österreichs in der EU. Seit dem Beitritt 1995 ist die Europäische Union schrittweise von damals 15 auf heute 28 Mitglieder angewachsen – was das Gewicht der einzelnen Mitgliedstaaten naturgemäß schmälert. Nichtsdestotrotz konnten Österreichs Vertreter den europäischen Institutionen ihren Stempel aufdrücken: beispielsweise der erste österreichische EU-Kommissar, Franz Fischler, der die heikle Aufgabe hatte, die europäische Landwirtschaft für die Herausforderungen der Globalisierung vorzubereiten; oder Thomas Wieser, der am Höhepunkt der europäischen Schuldenkrise im Jahr 2012 die Leitung der Euro-Arbeitsgruppe übernahm und die Währungsunion bis 2018 durch alle Stürme navigierte; oder aktuell Kommissar Johannes Hahn, der für die Erweiterung – und damit für Österreichs Nachbarschaft am Balkan – zuständig ist.

Umgekehrt prägte die Unionsmitgliedschaft Österreich in vielerlei Hinsicht. Durch die Verankerung im Binnenmarkt konnte die Bundesrepublik von der Osterweiterung der Union 2004 überdurchschnittlich stark profitieren. Gemäß einer Anfang Mai veröffentlichten Studie der Bertelsmann Stiftung sind die Wohlstandseffekte der Teilnahme am gemeinsamen Binnenmarkt unter den EU-Mitgliedern nur in Luxemburg, Irland, Dänemark und Belgien höher als hierzulande. In den mittelosteuropäischen Mitgliedstaaten zählt Österreich zu den wichtigsten Investoren, und diese Märkte haben für österreichische Unternehmen eine große Bedeutung. Umgekehrt konnte sich Österreich als Zulieferer deutscher Konzerne profilieren – und so an der globalen Erfolgsstory Deutschlands partizipieren. Und selbst den anfangs argwöhnisch beäugten Euro haben die Österreicher mittlerweile ins Herz geschlossen.

Österreich und die EU

Die feierliche Übergabe des österreichischen Beitrittsantrags (durch den damaligen Außenminister Alois Mock) erfolgte bereits im Jahr 1989. Die ošffziellen Verhandlungen mit den beitrittswilligen Efta- Mitgliedstaaten (neben Österreich waren es Finnland, Schweden und Norwegen) starteten am 1. Jänner 1993.

Gut 70 Stunden dauerte der Verhandlungsmarathon im Februar 1994, als das österreichische Verhandlungsteam in Brüssel um die Modalitäten des Beitritts feilschte. Am Verhandlungstisch saßen unter anderem Außenminister Alois Mock, Europastaatssekretärin Brigitte Ederer und Wirtschaftsminister Wolfgang Schüssel.

Im Jahr 2000 bescherte Österreich der EU eine Krise, als die FPÖ von Jörg Haider mit der ÖVP von Wolfgang Schüssel koalierte. Die EU- 14 reagierten mit diplomatischen Sanktionen. Auf Drängen des damaligen Bundespräsidenten Thomas Klestil musste sich die schwarz-blaue Regierung in einer Präambel zur Einhaltung der europäischen Werte verpflichten.

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