Frankreich

Emmanuel Macrons erster großer Test

Emmanuel Macron gibt die Richtung vor – doch nicht alle wollen ihm folgen, vor allem nicht in Berlin und Wien.
Emmanuel Macron gibt die Richtung vor – doch nicht alle wollen ihm folgen, vor allem nicht in Berlin und Wien.(c) REUTERS (POOL New)
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Die Europawahl am 26. Mai ist ein Barometer für die Europa-Vision des Präsidenten. Macron profitiert davon, dass die Wähler, die den Rechtspopulisten nicht den Weg zur Macht ebnen wollen, keine glaubwürdige Alternative zu ihm sehen.

In Frankreich ist der Wahltag stets auch Zahltag. Meist bekommt die Regierungspartei – und indirekt der vom Volk gewählte Präsident – die Rechnung präsentiert, weil ein Teil der fast unvermeidlich enttäuschten Bürger ihren Unmut an der Urne kundtun. Mit einem Dämpfer muss darum am 26. Mai auch Staatschef Emmanuel Macron rechnen. Er hat nicht nur manche seiner ursprünglichen Fans verloren, die sich 2017 von seinem Modernisierungs- und Reformeifer begeistern ließen. Sie mussten feststellen, dass dieser dynamisch und ambitiös auftretende junge Mann in der Realpolitik auch nur mit Wasser kocht. Die anhaltende und mittlerweile verfahrene Konfrontation mit der Gelbwestenbewegung hat in den Augen vieler Franzosen zudem ihre anfängliche Befürchtung bestätigt, dass es Macron an Erfahrung, staatsmännischer Statur oder gar Charakterstärke fehle.

Normalerweise also müsste die von ihm inspirierte und tatkräftig unterstützte Liste mit dem programmatischen Namen „Renaissance“ einen schweren Rückschlag einstecken. Doch so einfach funktioniert auch in Paris die Politik nicht mehr. Als Kandidat und als Präsident gelang es Macron indessen, seine Gegner zu spalten und zu schwächen. Sowohl links wie rechts ist die Opposition stärker angeschlagen als die Regierung. Selbst entschiedene Macron-Gegner müssen oft auf die Frage passen, wen sie statt des Präsidenten mit den Regierungsgeschäften betrauen würden.

Die Sozialisten, die lang an der Macht waren und in der Opposition den Ton angaben, müssen heute befürchten, unter die entscheidende Fünf-Prozent-Hürde zu fallen. Die einst mächtige linke Partei von François Mitterrand kämpft ums Überleben. Ihr Spitzenkandidat ist der parteilose Journalist Raphaël Glucksmann, der Sohn des verstorbenen Philosophen Alain Glucksmann. Er wollte eigentlich alle linken Parteien zu einer Allianz vereinen. Letztlich hat seine Initiative mit dem Namen „Place publique“ aber nur die Sozialisten und kleinere Gruppen interessiert. Weder der ehemalige sozialistische Präsidentschaftskandidat Benoît Hamon mit seiner dissidenten Liste „Génération.s“ noch die Liste der Kommunisten, und schon gar nicht die Trotzkisten von „Lutte Ouvrière“ dürften über zwei bis drei Prozent hinauskommen. Ungefähr gleichauf mit je ungefähr neun Prozent liegen in den Prognosen die Grünen (Europe Écologie-Les Verts) und die mit „Die Linke“ in Deutschland vergleichbare „France insoumise“ des Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon.

Etwas weniger katastrophal als für die Sozialisten ist die Ausgangslage für die andere ehemalige große Partei im bürgerlichen Lager: Die Konservativen von „Les Républicains“ gingen mit einer Prognose von zwölf Prozent ins Rennen. Mit dem jungen Philosophielehrer François-Xavier Bellamy, der vor allem in Moral- und Gesellschaftsfragen sehr konservative Positionen vertritt, hat die bürgerliche Opposition gegenüber Macrons liberaler Politik aber ein wenig an Terrian gutgemacht. Mit rund 15 Prozent liegt sie ziemlich unangefochten auf dem dritten Platz.

Kopf-an-Kopf-Rennen

Um den ersten Rang ist indessen ein Kopf-an-Kopf-Rennen im Gange. Abwechselnd liegt entweder Macrons Liste mit Kandidaten aus den Parteien „La République en marche“ und dem zentrumsdemokratischen „MoDem“ oder die rechtsextreme „Rassemblement National“ (RN, die Nachfolgepartei des „Front National“ von Marine Le Pen) in Führung. Beide pendeln zwischen 22 bis 24 Prozent.

Da die anderen Parteien weit abgeschlagen sind, zieht vor allem das Duell zwischen dem Präsidenten und der Rechtspopulistin Marine Le Pen, das auf den ersten Blick einem Remake des zweiten Wahlgangs der Präsidentschaftswahlen gleicht, bei dem vor zwei Jahren Macron auch Le Pen gegenüberstand. Die Liste des Präsidenten wird allerdings von der bisher recht farblosen Ex-Europaministerin Nathalie Loiseau angeführt, und die Liste des RN von einem Nachwuchspolitiker, Jordan Bardella. Politisch nicht weit entfernt von dessen Programm ist eine andere nationalistische Liste, „Debout la France“, die zwischen vier und fünf Prozent rangiert. Insgesamt könnten auf die nationalistische Rechte fast 30 Prozent entfallen.

Und die Gelbwesten? Seit Monate versuchen Exponenten der Protestbewegung eine einheitliche Liste „Gilets jaunes“ zu formieren, um auf den Wahlausgang Einfluss zu nehmen – zugleich ist es auch ein Indikator für ihr politisches Gewicht. Denn zuletzt wurde immer öfter ihr Anspruch infrage gestellt, für das Volk zu sprechen. Zuletzt reklamierten überdies zwei rivalisierende Listen, für die Bewegung einzutreten. Umfragen zufolge dürfen sie jedoch kaum mehr als zwei Prozent erwarten. Mehr oder weniger medial bekannte Vertreter der Gelbwesten treten außerdem für extreme Rechte oder die Linke an. Das stiftet einerseits Verwirrung und beweist andererseits, wie groß die politische und ideologische Spannweite innerhalb dieser unstrukturierten Bewegung ohne legitime Führung ist.

Kleinparteien sonder Zahl, insgesamt 33 Listen, von denen viele das Attribut „exotisch“ verdienen, drängen sich bei dieser EU-Wahl. Die Rekordzahl an Wahllisten könnte den Eindruck erwecken, dass das Interesse an Europathemen in Frankreich besonders vital ist und die Zukunft Europas in der politischen Debatte eine große Rolle einnimmt. Die europapolitischen Visionen Macrons sind dazu angetan, dies noch zu unterstreichen. Doch die Wirklichkeit ist davon weit entfernt. Bisher bestimmte vor allem der Konflikt der Gelbwesten mit der Regierung den Wahlkampf – und die Brandkatastrophe um Notre-Dame drängte alle anderen Themen eine Zeit lang völlig in den Hintergrund. Der eigentliche Sieger am Wahlabend des 26. Mai dürfte indessen ohnehin bereits feststehen: die Wahlenthaltung.

Frankreich

Die EU-Wahl spitzt sich auf ein Duell zwischen der Bewegung „Renaissance“ des Präsidenten Emmanuel Macron und dem „Rassemblement National“ von Marine Le Pen zu. Alle anderen Parteien sind mehr oder weniger in der Konsolidierungsphase. Es ist gewissermaßen die NeuauŠflage der Präsidentschaftsstichwahl vor zwei Jahren. Mit Respektabstand folgen die „Republicains“ – die bürgerliche Opposition – auf dem dritten Platz.

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