Der Mega-Gletscher, der wieder wächst

NASA
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Der Jakobshavn-Gletscher, der größte Gletscher Grönlands, stoppte in den vergangenen Jahren trotz Erderwärmung seine Schrumpfung und stieß seit spätestens 2016 sogar wieder mehrere Kilometer Richtung Meer vor. Das Phänomen dürfte vorübergehend sein.

Man ist Meldungen wie diese eigentlich gewohnt seit Jahren: Die Eisdicke der Gletscher in Österreich gehe jährlich im Schnitt um einen Meter zurück; das habe ein Forscherteam aus Innsbruck mit einer neuen Messmethode ermittelt, hieß es vor kaum einer Woche. Österreichs Gletscher hätten von 2006 bis 2016 ein Fünftel ihrer Masse verloren - etwas, was man auch eindeutig anhand von Fotos sehen kann.

Weltweit wird die Abnahme von Gletschern im Zuge einer konstatierten Erderwärmung konstatiert, ob in den Alpen, in polaren Gebieten wie Grönland und der Antarktis oder bei den zwei großen Eisschilden in Patagonien im chilenisch-argentinischen Grenzraum.

Doch justament einer der mächtigsten Gletscher der Welt scheint sich dem entgegenzustemmen: Der riesige Jakobshavn-Gletscher (Jakobshavn Isbræ, Ilulissat-Gletscher) an der Westküste Grönlands wird seit einigen Jahren wieder dicker, länger, und fließt langsamer. Das haben Messungen mittels Satelliten ergeben; zuletzt erschien dazu kürzlich ein Bericht der Europäischen Weltraumorganisation ESA, der sich auf Daten der Erdbeobachtungssatelliten der Sentinel-Serie der Modelle Sentinel-1 (Radar) und Sentinel-2 (optische Beobachtung) stützt, sowie auf solche des auf Eisflächenvermessungen spezialisierten CryoSat-2 (Radar).

Hier ein weiterer Link zu einem aktuellen Satellitenbild in Hochauflösung.

ESA

Von 2013 bis 2016/17 habe der Gletscher, der nahe des malerischen Städtchens Ilulissat (rund 4500 Einwohner) ins Meer mündet und mehr als 65, ja mehr als 80 Kilometer lang ist, seinen vorherigen Schrumpfungsprozess gestoppt - und wachse seither wieder: Sein Mündungsbereich sei mindestens 30 Meter höher geworden und mehrere Kilometer Richtung Meer vorgestoßen. Hier ein Link auf Googlemaps.

Ilulissat, 2012
Ilulissat, 2012patano/CC BY-SA 3.0

Die Sache ist hochinteressant, denn dieser Gletscher, den man seit etwa 1850 beobachtet, ist ob seiner Mächtigkeit von letzlich weltweiter Bedeutung. Sein Einzugsgebiet beträgt rund 110.000 Quadratkilometer, was etwa sechs bis sieben Prozent des grönländischen Inlandseises umfasst. Er kalbte im Schnitt der vergangenen Jahrzehnte um die 35 Milliarden Tonnen Eis pro Jahr, so viel wie kein anderer Gletscher der Nordhalbkugel. Er soll zehn Prozent aller Eisberge Grönlands erzeugen und pumpt damit so viel an Eis bzw. Wasser ins Weltmeer wie kein anderer Gletscher Grönlands.

Er versenkte wohl die Titanic

Er gilt als Ursprung jenes Eisberges, mit dem der Dampfer Titanic anno 1912 zusammenstieß. Und er bewirkte durch sein Zutun von Ende der 1990er bis 2010 jedenfalls laut Berechnungen für sich allein einen weltweiten Anstieg der Meeresoberfläche von einem Millimeter.

Michael Haferkamp/CC BY-SA 3.0

Seit Beginn der Beobachtungen Mitte des 19. Jahrhundert war er kleiner geworden und zog seine Front aus dem Meer zurück, sodass sie auch nicht mehr im Wasser treibt, sondern auf Grund ruht. Bis 1964 zog er sich um etwa 30 Kilometer zurück, worauf er dreieinhalb Jahrzehnte recht stabil blieb, nur um ab Ende der 1990er wieder zu schrumpfen, allein etwa fünf Kilometer innerhalb der ersten sechs Jahre und zehn bis 15 Meter pro Jahr an Dicke im Mündungsbereich.

Er fließt extrem schnell

Auffallend am Jakobshavn ist auch seine extrem hohe Fließgeschwindigkeit: Die Eismassen rannen im Endbereich meist mehr als 20 Meter pro Tag bzw. mehr als sieben Kilometer pro Jahr, was sich ab 1997 auf 34 Meter, um 2012 herum sogar auf mehr als 45 Meter pro Tag bzw. mehr als 16 Kilometer pro Jahr beschleunigte. Kein Gletscher der Erde fließt dauerhaft schneller. Aber er wurde zuletzt eben auch wieder langsamer.

Um 2012 herum, dem Jahr des stärksten Schrumpfens, zog sich die Front pro Jahr um etwa drei Kilometer zurück. Doch in einer jüngsten Studie der Nasa hieß es nun, dass der Gletscher in den vergangenen beiden Jahren um etwa dasselbe Ausmaß wieder vorgestoßen sei, letztlich also um mindestens sechs Kilometer.

AFP

Die genauen Hintergründe sind indes noch unklar, zumal der Jakobshavn auch in den vergangenen Jahren weiter mehr Eis verloren haben dürfte, als in seinem Einzugsraum an Masse durch Schnefall dazukam.

Anna Hogg, Forscherin am Centre for Polar Observation and Modelling an der Universität von Leeds (England), schreibt die Ursache der besonders starken Abschmelzung ab Ende der 90er bis 2013 ungewöhnlich warmen Meerwasserzuströmen in die Region zu; danach sei die Oberflächentemperatur der Gewässer dort wieder gefallen: um mindestens ein Grad Celsius, bei der Nasa, die vor einiger Zeit ebenfalls zu dem Phänomen publiziert hat, spricht man gar von 3,6 Grad.

Nur eine Täuschung?

Die Kernfrage, so Hogg, sei, ob das erneuerte Wachstum des grönländischen „Eiskönigs" nun längerfristig oder bloß vorübergehend sein werde. „Wir werden das mit Satelliten der ESA weiterverfolgen". Tenor der Forscher ist freilich letztere Annahme: Die Balance der Kryosphäre sei sehr „delikat" und die jahreszeitliche Variabilität sehr groß, sodass sich auch das aktuell starke Wachstum durchaus in den Langzeittrend einfügen und keine positive Tendenz ablesen lasse, hieß es aus der ESA. Das Wachstum täusche über den Gesamtverlust an Eis.

(WG)

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