Filmfestspiele Cannes: Hipster-Zombies unter Palmen

Jim Jarmusch versammelt in seinem Cannes-Eröffnungsfilm prominente Charakterköpfe. Im Bild: Bill Murray, Produzent Carter Logan, Jarmusch und seine Partnerin, Sara Driver, Tilda Swinton.
Jim Jarmusch versammelt in seinem Cannes-Eröffnungsfilm prominente Charakterköpfe. Im Bild: Bill Murray, Produzent Carter Logan, Jarmusch und seine Partnerin, Sara Driver, Tilda Swinton.REUTERS
  • Drucken

Am Dienstag eröffneten die 72. Filmfestspiele mit Jim Jarmuschs Zombie-Klamotte „The Dead Don't Die“. Das Festival versammelt heuer Luxusmarken der Cinephilie.

Der Zirkus ist wieder in der Stadt. Paradiesvögel paradieren über die Promenaden, auf den Dachterrassen drängen sich Fotografen am Geländer – und die Sonne scheint auf Stars und solche, die es werden wollen. Die Filmfestspiele von Cannes sind in vollem Gange. Es ist also Zeit, sich zu positionieren. Filmemacher tun dies in den Startlöchern der Wettbewerbe, Sicherheitskräfte an strategischen Punkten, Journalisten in endlosen Schlangen, Käufer vor den Einlässen gehypter Markt-Screenings, Promis im Blitzlichtgewitter – und die Veranstaltung selbst als Platzhirsch im europäischen Filmeventkalender.

Denn der Festivalsektor ist hart umkämpft. Selbst als Alphatier muss man seinen Status verteidigen, die Konkurrenz schläft nicht. Venedig etwa hat sich neu orientiert: Statt zweite Arthouse-Geige spielt man dort nunmehr auf Hollywood-Klaviaturen und dient als Oscar-Rampe. Also rümpft Cannes demonstrativ die Nase. Was kümmert uns der schnöde Statuettenglanz, meinte Intendant Thierry Frémaux sinngemäß in einem Interview mit dem „Hollywood Reporter“ – wir hüten den guten Geschmack!

Um diesen aufrechtzuerhalten, hamstert Cannes gekonnt die Crème de la Crème des internationalen Kunstkinos. 2019 sieht nach einem erstklassigen Jahrgang aus, heißt es vielerorts. Gemeint ist die geballte Ladung von Luxusmarken der Cinephilie: große (Männer-)Namen wie Pedro Almodóvar, Ken Loach und die Dardenne-Brüder, allesamt Stammgäste, viele davon Goldpalmengewinner. Kinopriester Terrence Malick zeigt „A Hidden Life“, seinen deutsch-österreichisch besetzten Film über Franz Jägerstätter. Und Quentin Tarantino bringt „Once Upon a Time in Hollywood“. Im Gepäck: Glamourgaranten Brad Pitt und Leonardo DiCaprio.

Doch die Protzigkeit des Wettbewerbs kann nicht über Kritik hinwegtäuschen. Auch eine Grande Dame wie Cannes muss mit der Zeit gehen, zumal sie sich trotz besagten Beinamens schwer damit tut, Frauen hinter der Kamera eine Plattform zu bieten. Um den Hauptpreis rittern 21 Filme, nur vier davon stammen von Regisseurinnen. Darunter ist die Wienerin Jessica Hausner: Mit dem Sci-Fi-Drama „Little Joe“ stellt sie den einzigen heimischen Wettbewerbsbeitrag.

Frémaux signalisiert guten Willen: Nachdem er vergangenes Jahr eine Paritätserklärung unterzeichnet hatte, wurde inzwischen das Auswahlkomitee umbesetzt. Die aktuelle Jury hat vier weibliche und vier männliche Mitglieder (exklusive des Präsidenten Alejandro González Iñárritu). Dass es weniger um Zahlen geht als um strukturellen wie filmkulturellen Wandel, ist jedoch klar. Und da bleibt Cannes seinen Traditionen treu, zur Freud mancher, zum Leid anderer.

Aufruhr um Ehrenpreis für Alain Delon

Kontroversen nährt etwa die Ehrenpalmen-Würdigung der französischen Schauspiellegende Alain Delon, dessen strittige Äußerungen zu Homosexualität und Sympathien für die Rechtspartei Front National vielen sauer aufstoßen. Eine Onlinepetition gegen die Verleihung zählt schon über 20.000 Unterschriften. Frémaux steht zu seiner Entscheidung: Es gehe hier schließlich nicht um den „Friedensnobelpreis“, sondern um filmhistorische Leistungen.

Diese dürften auch dazu beigetragen haben, dass Althipster Jim Jarmusch den Eröffnungsfilm stellen durfte. Denn sein jüngstes Werk „The Dead Don't Die“ blieb Dienstagabend hinter den Erwartungen zurück – trotz des gewohnten Charakterkopf-Aufgebots. Bill Murray, Adam Driver, Tilda Swinton, Danny Glover, Chloë Sevigny, Selena Gomez, Steve Buscemi, Iggy Pop, RZA und Co. veredeln die augenzwinkernde Horror-Klamotte, die in einem verschlafenen US-Städtchen spielt. Als die Dämmerung ungewohnt lang auf sich warten lässt, schwant den örtlichen Gendarmen Übles. Siehe da: Bei Nachteinbruch kraxeln Leichen aus ihren Gräbern und heischen Menschenfleisch.

Wo Jarmuschs letzter Film, die Volksdichterparabel „Paterson“, erstaunlich frisch daherkam, verströmt „The Dead Don't Die“ den Mief des Altbekannten. Die Gattung Zombiekomödie hat sich totgelaufen, und der Indie-Papst fügt ihr abseits schaler Meta-Witzchen nichts Neues hinzu. Zudem disharmoniert Jarmuschs tiefenentspannte Ästhetik mit jeglichen Spannungsansprüchen – und der politische Subtext (Untergangsstimmung in Trumpland) ist gleichermaßen plakativ wie zahnlos.

Vergnüglicher: „Le daim“, Quentin Dupieux' skurriler Korkenzieher der Nebenschiene Quinzaine des Réalisateurs (wo auch „Lillian“ läuft, der erste Spielfilm des Dokumentaristen Andreas Horvath). Ein Mann (Jean Dujardin) verliebt sich in seine fransige Jacke, beginnt ihre Stimme zu hören, Videos mit ihr zu drehen. Das sollte Jungregisseuren Hoffnung geben: Man braucht nur einen Plan und eine Portion Wahnsinn. Und eine Jacke – 100 Prozent Hirschleder.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Kirill Serebrennikows „Petrov's Flu“ mit Tschulpan Chamatowa: einer von 24 Filmbeiträgen, die heuer in Cannes um die Goldene Palme konkurrierten.
Cannes

Das Festival der Männermängel

Die Festspiele von Cannes gingen trotz Laissez-faire-Attitüde clusterfrei über die Bühne. Ein Beitrag des Österreichers Sebastian Meise wurde in einer Nebenschiene prämiert.
Eigentlich ist es unerlaubt, für Stars macht Cannes eine Ausnahme: Adrien Brody (2.v.r.) knipst ein Selfie mit Tilda Swinton, links lächelt Wes Anderson.
Filmfestival

Cannes: Vom Puppenhaus ins Pandämonium

Neue Filme von Wes Anderson und Kirill Serebrennikow feierten in Cannes Premiere: Während „The French Dispatch“ US-Auslandskorrespondenten ein Denkmal setzt, schickt „Petrov's Flu“ auf wilden Rockparcours durch Russland.
Cannes

Graue Haare als Trend auf dem roten Teppich

Andie MacDowell, Jodie Foster und auch Sarah Jessica Parker stehen neuerdings zu ihren grauen Haaren und setzen damit ein starkes Zeichen.
TOPSHOT-FRANCE-FILM-FESTIVAL-CANNES
Filmfestival

In Cannes bleibt einem heuer die Spucke weg

Nach einem Jahr in der Coronaversenkung kehrt die Grand Dame der Euro-Filmevents zurück an die Côte d'Azur. Jurymitglied Jessica Hausner erwartet ein satter Wettbewerb. Leos Carax' Eröffnungsmusical „Annette“ überraschte.
Cannes ist für seine Stardichte auf dem Red Carpet berühmt.

Cannes das was? Wie die Filmfestspiele wirklich ablaufen

In Cannes dreht sich derzeit wieder alles um Filme, Glitzer und Glamour. So wollen es uns die Fotos zumindest weismachen. Doch wie erlebt jemand, der kein Superstar ist, das Filmfestival? Kultur-Redakteur Andrey Arnold blickt in Cannes hinter die Kulissen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.