Ungeliebter Spitzentanz um die EU-Führung

Politicians pose for a group photo before a debate in the European Parliament, ahead of the May 23-26 elections for EU lawmakers, in Brussels
Politicians pose for a group photo before a debate in the European Parliament, ahead of the May 23-26 elections for EU lawmakers, in BrusselsREUTERS
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Was als Methode zur Steigerung der demokratischen Legitimität der Kommission erdacht wurde, weckt kaum das Interesse der Bürger und erschwert die Besetzung der Topjobs in der EU.

Brüssel. Schon vor der einzigen direkten Konfrontation der Spitzenkandidaten aller sich für das Europaparlament bewerbenden Parteien am Mittwochabend in Brüssel war klar: So einfach, wie sich das die EU-Kommission und die Parlamentsführung vor sechs Jahren vorgestellt haben mag, verhält es sich mit dieser Methode, den nächsten Kommissionspräsidenten zu bestimmen, bei weitem nicht. „Wenn die politischen Parteien auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten bekannt geben, welche Kandidaten sie für das Amt des Präsidenten der Kommission unterstützen“, riet die Brüsseler Behörde den Mitgliedstaaten in ihrem Schreiben vom 12. März 2013, „würde dies die Verbindung zwischen der individuellen Stimmabgabe der Bürgerinnen und Bürger der Union für eine politische Partei . . . konkretisieren und sichtbar machen.“ Wer als Spitzenkandidat seiner Parteienfamilie die meisten Stimmen erhält, solle das Vorrecht darauf haben, Präsident zu werden. Denn er sei von Europas Bürgern besonders legitimiert.

Doch mit dieser erhofften Verstärkung der demokratischen Legitimation wurde es nichts. Nur fünf Prozent der Wähler gaben nach der Europawahl 2014 in einer Umfrage des Marktforschungsinstituts TNS im Auftrag des Europaparlaments an, dass sie von den beiden Spitzenkandidaten, dem luxemburgischen Christdemokraten Jean-Claude Juncker und dem deutschen Sozialdemokraten Martin Schulz, zur Stimmabgabe bewegt worden seien (in Österreich gaben zwölf Prozent der Befragten an, dass sie das Rennen um die Präsidentschaft zumindest teilweise motiviert habe. Die Wahlbeteiligung sank EU-weit auf den bisherigen Tiefstwert von 42,61 Prozent.

Weber nur knapp vor Timmermans

Auch diesmal sind die EU-Spitzenkandidaten in Österreich eher unbekannt. Laut neuer Umfrage der Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) kennen 39 Prozent der Befragten weder Manfred Weber von der EVP noch den Sozialdemokraten Frans Timmermans. Derzeit gibt es in Österreich für Weber (19 Prozent) knapp mehr Unterstützung als für Timmermans (16 Prozent). „Im Vergleich zu den letzten Europawahlen ist der Bekanntheitsgrad der Top-Kandidaten damit ähnlich, wenn auch etwas geringer“, sagt ÖGfE-Generalsekretär Paul Schmidt.

Ist das Modell also ein Flop? In seiner derzeitigen Form sieht es danach aus. Selbst die Sozialdemokraten, welche offiziell dafür sind, schwenken nun angesichts der realpolitischen Kräfteverhältnisse um. „Wir wollen die Kommission führen, und wir werden eine proeuropäische Mehrheit organisieren“, sagte Udo Bullmann, sozialdemokratischer Fraktionsführer im Europaparlament, am Mittwoch. Doch seine Partei liegt in den Umfragen nur auf Rang zwei. Wie soll sich das ausgehen? Bullmann beharrte: „Es gibt keinen Zweifel für uns, dass Frans Timmermans Präsident der Kommission wird.“

Ob sich dieser Wunsch erfüllt, wird schon in der Nacht auf den 27. Mai klar werden: Gleich nach Verkündigung des Wahlergebnisses wird Ratspräsident Donald Tusk Namen möglicher Kandidaten im Kreise der Staats- und Regierungschefs testen. Wenn Weber oder Timmermans sich nicht sputen und den EU-Chefs parallel eine tragfähige Koalition präsentieren, wird das eintreten, was Tusk im Februar 2018 so erklärte: „Aus dem Vertrag geht eindeutig hervor, dass der Europäische Rat die autonome Zuständigkeit für die Benennung des Kandidaten hat.“

Nico Cué, Europäische Linke


Der Spanier, Jahrgang 1956, wuchs als Kind von Franco-Flüchtlingen im belgischen Lüttich auf. Von 2016 bis Jahresbeginn 2019 war er Vorsitzender der belgischen Metaller im Gewerkschaftsbund FBGT. Bei der Europawahl tritt Cué gemeinsam mit der slowenischen Kulturschaffenden Violeta Tomič (*1963) als Spitzenkandidat der Linken an.

Ska Keller, Europäische Grüne Partei


Die deutsche Europaabgeordnete (*1981) stellt gemeinsam mit dem Niederländer Bas Eickhout (*1976) die Spitzenkandidatendoppelspitze der europäischen Grünen. Keller war bereits bei der Europawahl 2014 grüne Spitzenkandidatin. Sie sitzt seit 2009 im EU-Parlament und ist seit 2016 Kofraktionsvorsitzende der Grünen.

Frans Timmermans, Sozialdemokratische Partei Europas


Der polyglotte Niederländer, Jahrgang 1961, ist die rechte Hand von Jean-Claude Juncker und als Erster Vizepräsident der EU-Kommission unter anderem für die Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten und die Beseitigung unnötiger Vorschriften zuständig. Die Sozialdemokraten dürften die zweitstärkste Kraft im EU-Parlament werden.

Margrethe Vestager, Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa


Die 51-jährige Dänin hat sich als EU-Wettbewerbskommissarin seit 2014 den Ruf einer europäischen Hoffnungsträgerin erarbeitet. Davor war sie Wirtschaftsministerin und Abgeordnete zum dänischen Parlament. Umfragen zufolge dürften die Liberalen bei der Europawahl kräftig zulegen – was Vestagers Chancen auf einen EU-Spitzenposten erhöht.

Manfred Weber, Europäische Volkspartei


Manfred Weber führt seit 2014 die EVP-Fraktion im Europaparlament an. Der 46-jährige Bayer ist Mitglieder der CDU-Schwesterpartei CSU und geht mit dem Segen von Bundeskanzlerin Angela Merkel in den Wahlkampf. Für den Spitzenkandidaten Weber spricht die Stärke der EVP, gegen ihn die nicht vorhandene Regierungserfahrung.

Jan Zahradil, Allianz der Konservativen und Reformer in Europa


Der 56-jährige Tscheche ist Spitzenkandidat der europaskeptischen Parteienfamilie, der unter anderem die britischen Tories und die nationalpopulistische polnische Regierungspartei PiS angehören. Zahradil ist seit 2009 Vorsitzender der Akre und seit 2004 Europaabgeordneter, davor war er unter anderem Regierungsberater in Prag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2019)

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