Wirtschaftsprüfung. In manchen Bereichen müssen die Prüfer noch mit viktorianischen Mitteln arbeiten. In anderen sind sie weit voraus. Worauf sich Unternehmen gefasst machen müssen.
Ein wenig Nostalgie schwingt mit, wenn KPMG-Audit-Partner Christian Sikora von seinen Anfängen erzählt. Vor 14 Jahren, erzählt der 39-Jährige, als er mit der Wirtschaftsprüfung begann, da gab es noch Ordner mit Einlageblättern für jedes Prüfgebiet. Die musste man ausdrucken und einzeln abzeichnen.
Das ist vorbei. Still und unmerklich für ihre Klienten führten die Big 4 eigene digitale Prüfungsakte ein, Programme für Archivierung, strukturierte Abläufe und Workflow-Unterstützung. Letzter Schrei ist das Integrieren von Data & Analytics. Kommerzielle Anbieter zogen mit Software für kleinere Prüfungsgesellschaften nach.
Diesen für den Klienten unsichtbaren ersten Bereich der Digitalisierung könnte man abhaken, wäre da nicht eine Einschränkung: „Wir können immer nur so digital sein, wie es der Klient ist“, sagt Sikora. Kommt der mit Belegen in der Schuhschachtel, hilft die beste Software nichts.
Umständliche Prozesse
Im zweiten Bereich geht es um automatisierte Prüfungshandlungen an sich. Hier muten manche aktuellen Prozesse geradezu viktorianisch an. So ist erst seit wenigen Jahren das Verschicken von Saldenbestätigungen per Mail (!) üblich geworden. Mit einer Saldenbestätigung gibt die Bank oder der Lieferant den Konto- bzw. Schuldenstand eines zu Prüfenden bekannt. Mails waren hier tatsächlich ein Quantensprung.
Noch immer ist es nicht allgemein akzeptiert, etwa einen Bankbrief, mit dem der Klient seine Hausbank dem Prüfer gegenüber vom Bankgeheimnis entbindet, per Mail anzufordern. Der Prozess ist denkbar umständlich: Der Prüfer legt seinem Klienten persönlich eine Textvorlage vor, der Klient unterfertigt sie, der Prüfer schickt sie per Post (!) zur Bank, bekommt ebenfalls briefliche (!) Rückmeldung und verarbeitet diese händisch. Kein Wunder, dass sich Digitalisierer auf solche Prozesse stürzen. Die US-Plattform confirmation.com etwa schließt Verträge mit allen Parteien ab, danach müssen sich die Prüfer nur mehr einloggen und den Bankbrief in PDF-Form anfordern.
„Weder radikal neu noch der große Wurf“, urteilt Sikora – trotzdem eine durch die strengen International Standards on Auditing (ISAs) gedeckte Verbesserung. Richtig Innovatives wie die Blockchain kann sich Sikora „in den nächsten zehn Jahren nicht flächendeckend vorstellen“.
Hinkt das Audit digital also anderen Branchen hinterdrein? Nein, denn es gibt ein freies Spielfeld: gänzlich neue Prüfungshandlungen zu entwickeln, wie man sie bisher nicht kannte. Vollumfängliches Prüfen aller Unternehmensdaten etwa statt wie bisher nur Stichproben. Analysieren des gesamten Prüfungsstoffs statt der Auffälligkeiten. Big-Data-Suche etwa nach allen Rechnungen, denen eine Freigabe fehlt, statt auf Zufallsfunde zu hoffen.
Vielversprechend ist auch Continuous Auditing. Hier sind IoT- (Internet of Things)Geräte direkt an die Produktionslinien gehängt und schreiben alles mit. So lassen sich Differenzen zwischen der Menge, die vom Band läuft, und der in den Zahlen abgebildeten sofort aufdecken.
Dem großflächigen Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) steht Sikora skeptisch gegenüber. In einigen Bereichen funktioniert sie, etwa wenn es darum geht, in großen Vertragswerken nach Change-of-Control-Klauseln zu fahnden. Oder um in Kredit- und Leasingverträgen bestimmte Konditionen aufzuspüren.
Kann man der KI trauen?
Rechtlich schwierig wird es aber, wenn die KI betrügerische Absichten erkennen soll. Zwar findet sie allerhand, aber man weiß nie, nach welchen Kriterien sie das herauspickt. „Man kann nicht rückrechnen, wie sie auf dieses Ergebnis kam“, bemängelt Sikora. Was hilft ein Verdacht, wenn man ihn nicht begründen kann?
Ein anderes Produkt der Digitalisierung liefert gesicherte Beweise: Inventur-Drohnen. Die fotografieren in australischen Mienen, wie groß das Opalvorkommen tatsächlich ist, und im brasilianischen Regenwald den Zustand der Palmölplantage. Und wer weiß, vielleicht schwirre solche Drohnen ja bald auch österreichischen Lageristen hinterdrein.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2019)