Manfred Weber: „Das ist unsere Trennlinie zu Rechtsradikalen“

Manfred Weber Spitzenkandidat der europäischen Christdemokraten
Manfred Weber Spitzenkandidat der europäischen ChristdemokratenBloomberg
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Der Spitzenkandidat der europäischen Christdemokraten zu Überregulierung, Türkei-Beitritt, Kampf gegen Krebs und christlichen Werten.

Die Presse: Ist die EU überreguliert?

Manfred Weber: Die Frage können wir dann beantworten, wenn wir den Menschen zuhören. Im Wahlkampf war ich einmal in Zypern. Da meldet sich ein Landwirt zu Wort. Er fand Europa super, wünschte sich aber, dass die Formulare weniger werden. Wir müssen das ernst nehmen, was uns die Leute sagen. Und da ist das Thema Überregulierung eines der Topthemen. Deshalb sage ich, dass wir eine Trendwende brauchen, wie sie auch Kurz fordert. Nicht nur neue Bürokratie vermeiden, sondern bestehende Regulierungen auf den Prüfstand stellen. Mit dem Ziel, tausend zu streichen.

Aber was soll das sein? Welche Regeln sind konkret unnötig? Der Binnenmarkt verlangt sehr viele gemeinsame Regeln, sonst funktioniert er nicht.

Absolut. Aber trotzdem regeln wir ihn seit den 1960er-Jahren. Da hat sich genug angesammelt, was Bürokratie erzeugt und den Alltag problematisiert, obwohl es nicht unbedingt notwendig ist.


Sie waren bisher zum EU-Beitritt der Türkei sehr kritisch. Zwingt die von der Erdoğan-Regierung erzwungene Wahlwiederholung in Istanbul Europa nun zum Handeln?

Die Türkei entfernt sich von europäischen Werten. Klar ist, sie kann so nicht Mitglied der Europäischen Union werden. Sollte ich Kommissionspräsident werden, werde ich die Dienste der Kommission anweisen, die Beitrittsgespräche mit der Türkei zu beenden. Wir müssen da einen Schlussstrich ziehen. Das bedeutet aber nicht, dass wir die Verbindungen kappen. Ich will eine Partnerschaft mit einer aufgewerteten Zollunion, eine Visumliberalisierung, einen Kultur- und Studentenaustausch stärken.


Für einen Stopp der Beitrittsgespräche brauchen Sie einen einstimmigen Beschluss der EU-Regierungen . . .

. . . und dafür bitte ich um ein Mandat. Wenn wir die stärkste Fraktion werden, dann werde ich auch in den Rat gehen und den zweiten Schritt vorschlagen. Den ersten Schritt, den Stopp der Gespräche, kann ich als Kommissionspräsident anordnen. Das formale Ende ist dann der zweite Schritt.

Es gibt ja auch innerhalb der Europäischen Union Rechtsstaatsprobleme – etwa in Polen, Ungarn oder Rumänien. Sie haben einen neuen Rechtsstaatsmechanismus vorgeschlagen. Wie soll der funktionieren?

Es geht um Abweichungen von den Grundprinzipien Europas: Bei der Rechtsstaatlichkeit, Korruption oder bei der Unabhängigkeit der Medien und der Justiz. Das ist nicht akzeptabel. Deshalb möchte ich diesen Rechtsstaatsmechanismus installieren. Konkret ist dafür eine unabhängige Bewertung notwendig – durch einen Expertenrat.


Ist das so etwas wie ein Weisenrat, wie ihn die EVP bereits bei ihrem ungarischen Mitglied Fidesz eingesetzt hat?

Das ist eine Art Venedig-Kommission für die EU – wie es sie bereits im Europarat gibt. Ich kann mir vorstellen, dass dieser Kommission ehemalige nationale Verfassungsrichter und EuGH-Richter angehören. Sie sollen Berichte über alle Staaten der EU erarbeiten, ob es zu Abweichungen von den Grundwerten gekommen ist. Diese Abweichungen sollten dann automatisch dem EuGH zugeleitet werden. Zentral ist auch, Sanktionen vorzusehen. Wenn Staaten die Grundrechte nicht akzeptieren, können das Auswirkungen auf Fördermittel haben.

Die angesprochenen Länder müssten dem neuen Mechanismus allerdings zuerst zustimmen, damit er überhaupt kommt. Warum sollten sie das tun? Sie sehen das schon jetzt als Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten.

Die Grundrechte sind keine innere Angelegenheit. Das sind Grundüberzeugungen des Kontinents. Einen solchen Mechanismus könnte ich als Kommissionspräsident einsetzen. Für den Sanktionsmechanismus brauchte es aber eine Vertragsänderung. Wenn jetzt diese Länder behaupten, bei ihnen gibt es eh kein Problem, dann sollten sie auch kein Problem mit einem Sanktionsmechanismus haben.

Sie haben in der EVP eine Suspendierung der ungarischen Regierungspartei vermittelt. Sie waren da lang geduldig. Dennoch hat Ihnen Viktor Orbán die Unterstützung für die Wahl zum Kommissionspräsidenten entzogen. Trifft Sie das?

Nein, weil das keine Kategorie für mich ist. Getroffen oder nicht getroffen, ich gehe meinen Weg. Das wusste auch Viktor Orbán immer. Ich bin bereit zum Brückenbauen, aber nur auf Grundlage von Werten. Und wer das nicht akzeptiert, muss die Europäische Volkspartei verlassen. Es geht da nicht um Mandatszahlen, sondern um Werte.

Ein Thema in Ihrem Zwölf-Punkte-Programm ist der gemeinsame Kampf gegen Krebs. Wie stellen Sie sich das vor?

Die Grundidee ist die Bündelung der Kapazitäten – sowohl der Wissenschaft, der Gelder als auch der Daten. Mit modernen Formen künstlicher Intelligenz kann man aus diesen Daten sehr viel im Kampf gegen Krebs gestalten.

Wäre da nicht ein großzügiges EU-Budget notwendig, um solche zusätzlichen Aufgaben umzusetzen?

Zunächst geht es darum: Gibt Europa das Geld effizient aus? Das Zweite ist: Das Budget der Union muss sich am Bedarf orientieren. Wenn wir entscheiden, dass wir einen Marshallplan für Afrika machen, wenn wir 10.000 Frontex-Beamte aufbauen, wenn wir einen Krebsplan machen, dann muss das auch finanziert werden. Wenn wir wollen, dass wir da vorankommen, müssen wir auch das Geld bereitstellen.

Ein weiterer Vorschlag, den Sie vorgelegt haben, ist ein europäisches FBI. Geheimdienste schützen normalerweise Staaten. Ist die EU denn schon ein staatsähnliches Konstrukt?

In diesen Kategorien denken die Bürger nicht. Sie fragen sich, warum weiß der bayrische Polizist etwas, was der österreichische Polizist nicht weiß. Warum werden Schwerverbrecher, Terroristen oder muslimische Extremisten nicht in die gleichen Datenbanken eingespeichert.

Wobei es doch schon Europol, die gemeinsame Polizeibehörde, gibt.

Sie wissen, wie die Ermittlungskapazitäten dort aussehen. Wir haben heute nur wenige Tatbestände, bei denen Europol eigenständig Teams bilden und Ermittlungen anstoßen kann. Ich möchte diesen Katalog erweitern. Im Zentrum steht aber der Datenaustausch. Wir brauchen da mehr Zusammenarbeit bis hin zu einem europäischen FBI, das auch investigativ tätig werden kann.

In Österreich stellt sich bei jedem Christdemokraten die Frage, ist er eher türkis oder schwarz. Wo ordnen Sie sich ein?

Für mich ist die Idee der Volkspartei zeitlos. Sie ist unter Druck, weil große Parteien europaweit im Sinkflug sind, aber ich stehe dazu. Es braucht noch immer große Parteien, die Kompromisse schließen können, die nicht nur sektorale Parteien sind.

Bei einem Thema – der Migration – stellt sich aber gerade für Volksparteien die Frage, inwieweit traditionelle christliche Werte einbezogen werden sollen.

Für jeden Christdemokraten ist klar, dass jeder Mensch eine Würde hat und respektiert werden muss. Das ist die Trennlinie zu Rechtsradikalen, zu Rassisten. Wenn Papst Franziskus in Lampedusa am Mittelmeer steht und uns Europäer an unsere humanitäre Verantwortung erinnert, dann haben wir dem zu folgen. Das heißt aber nicht, dass jeder nach Europa kommen kann. Es müssen die Staaten entscheiden, wer kommen kann, nicht die Schlepperbanden. Wir sehen die Not und wollen helfen. Aber wir wollen, dass Recht und Ordnung gelten.

Zur Person

Manfred Weber ist Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP) bei der Europawahl. Der bisherige EVP-Fraktionschef im EU-Parlament strebt damit die Nachfolge von Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsident an. Weber ist Mitglied des CSU-Präsidiums. Der 46-Jährige studierte Physikalische Technik und gründete zwei Beratungsunternehmen, bevor er in die Politik wechselte. 2002 wurde er Mitglied des bayerischen Landtags, seit 2004 ist er Abgeordneter im Europaparlament. Als Fraktionschef verhandelte der aus Bayern stammende Politiker die Suspendierung der EVP-Mitgliedschaft der ungarischen Regierungspartei Fidesz.

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