Die Würde ist zum Verletzen da

Denkmal des tödlichen Dilemmas der Migrationskrise: das Schiffswrack des schrecklichen Mittelmeer-Unglücks 2015. Christoph Büchel stellte es ins Arsenale.
Denkmal des tödlichen Dilemmas der Migrationskrise: das Schiffswrack des schrecklichen Mittelmeer-Unglücks 2015. Christoph Büchel stellte es ins Arsenale.(c) AFP
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Darf man hier jetzt Prosecco trinken? Christoph Büchel stellt Realität als Kunst aus und öffnet so eingefahrene Situationen wieder für Empathie.

Man kann sich dieser Tage als Kunstkritikerin entscheiden. Schreibt man über ideologisch herausgeforderte, drittklassige Provinzmaler, gegen die sich nicht einmal die landeseigene Kunstszene so zu wehren vermag, dass es irgendjemandem wehtut (indem Beiräte zum Beispiel geschlossen zurücktreten).

Schreibt man über große silberne Glitzerhasen wie den von Jeff Koons, der es immer wieder schafft, Oligarchen mit seinen „Balloon“-Figuren tatsächlich heiße Luft zu verkaufen (Rekordauktionsergebnis für einen lebenden Künstler mit 81 Mio. Euro, Mittwoch in New York). Oder schreibt man über Dinge, von denen man zumindest glaubt, dass sie „wirklich“ die Welt bewegen, nur um am Ende draufzukommen, dass doch alles mit allem zu tun hat. Also etwa über den renommierten Schweizer Künstler Christoph Büchel, der reale Situationen zu Kunst erklärt und sie dadurch wieder für Diskussionen, für Empathie öffnet. Gerade eben hat er eines der gewagtesten künstlerischen Zeichen dieser Zeit gesetzt – bei der Biennale Venedig, hinten im Arsenale, wo am Ufer wie zufällig aufgebockt ein mächtiges Schiffswrack steht.

Man kann daran vorbeigehen und nur die schiere Wucht der zerstörten Form bewundern (die Infotafel ist leicht zu übersehen). Man kann genau dahinter, im Café der Biennale, auch einfach etwas trinken und essen. Man kann neugierig werden, die Texte lesen und betroffen stehen bleiben. Es ist das Schiffswrack der größten Katastrophe im Mittelmeer seit dem Zweiten Weltkrieg, das Büchel hierhergebracht hat, um genügend Aufmerksamkeit zu generieren, damit es endlich als Mahnmal in Sizilien (wie NGOs es wollen) oder in Brüssel landet (wie die italienische Regierung findet). Im April 2015 starben in und um dieses Schiff etwa 800 Flüchtlinge (es gibt keine exakte Zahl). Es kenterte wegen der Unfähigkeit des (verurteilten) Kapitäns, und zwar genau in dem Moment, als bzw. weil ein anderes Schiff zur Hilfe kam.

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