Die Kultur der Rede stärken

Barbara Holub (links) und Christine Hohenbüchler auf der Redeplattform vor der TU Wien, die inzwischen schon enthüllt wurde.
Barbara Holub (links) und Christine Hohenbüchler auf der Redeplattform vor der TU Wien, die inzwischen schon enthüllt wurde.(c) Katharina F.-Roßboth
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Vor der TU Wien steht nun eine Torte: die Plattform für Streitreden, die Barbara Holub und Christine Hohenbüchler mit Studierenden umgesetzt haben.

An eine Geburtstagstorte habe man eigentlich überhaupt nicht gedacht, sagt Barbara Holub. „Die Idee finden wir aber jetzt auch schön – auf die ist noch niemand gekommen.“ Hinter dem tortenförmigen Gebilde im Resselpark, das damit zu tun hat, dass die TU Wien 100 Jahre Frauenstudium feiert, steckt aber ohnedies schon eine Reihe an Ideen.

Da ist zum Beispiel die Frage nach der Aussagekraft von Statistiken, die häufig mittels Tortendiagrammen dargestellt werden. Die nach dem gesellschaftlichen Zwang, stets die Karrierestufen – in diesem Fall über die treppenförmig angelegten Tortenstücke – hinaufzuklettern. Oder im aufgemalten Zuckerguss die Frage nach dem Sugarcoating – also dem Schönreden.

Verkrustete Machtstrukturen

Schöngeredet werden soll auf dieser Torte in den kommenden vier Wochen jedenfalls nichts – geredet aber schon: Die Skulptur ist die sogenannte Plattform für Streitreden, die am Donnerstag eingeweiht wurde. Ausgedacht haben sich das Konzept die Künstlerinnen Barbara Holub und Christine Hohenbüchler, umgesetzt voriges Semester in einer Lehrveranstaltung mit Studierenden der TU Wien, wo Hohenbüchler als Professorin arbeitet.

Gesprochen werden soll dort dann zum Beispiel über Wege aus den verkrusteten Machtstrukturen, über neue gemeinschaftliche Werte, über weibliches Denken und Handeln unabhängig vom Geschlecht oder über neue Formen des Feminismus.

„Wir haben uns gedacht, eigentlich braucht es eine neue Form von Redekultur und von Zuhörkultur“, sagt Holub, die oft Kunstprojekte im öffentlichen Raum umsetzt – Hochbüchler gestaltet mit ihrer Zwillingsschwester, Irene, schon lang partizipative Projekte, oft auch mit Randgruppen. „Man kann nicht durch Ausgrenzung an einer Gesellschaft arbeiten, sondern muss auch denen zuhören, mit denen man vielleicht nicht einer Meinung ist.“

Ihre Plattform für Streitreden soll denn bis zum 16. Juni ein Ort sein, wo die Kultur der Rede als offener Diskurs wiederbelebt wird. „Alles, was die Kultur der Rede wieder in den Vordergrund stellt“, wünscht sich Holub von dem Projekt. Weg von Verunglimpfungen, hin zum feinen Gebrauch von Sprache und dem Dialog – in diesem Fall mit dem Publikum.

Wider Erwarten ist die Torte allerdings kein Speakers' Corner, sondern es gibt ein Programm. Holub und Hohenbüchler haben dafür gezielt Persönlichkeiten angesprochen und auch einen offenen Aufruf lanciert. „Und interessanterweise haben sich da eigentlich keine Männer gemeldet“, sagt Holub. So werden nun also viele Frauen sprechen, von Marlene Streeruwitz bis zur feministischen Puppenrevue. Der Kurator Raimar Stange befasst sich mit dem Bild des „weißen Mannes“.

Offen für alle, die vorbeikommen

Mit den Sprechern in Diskussion zu kommen, ist aber explizit gewünscht. Dazu eingeladen ist jeder, der will, jeder, der vorbeikommt. „Immer, wenn sich Menschen im öffentlichen Raum versammeln, dann zieht das Neugier auf sich, weil man sich fragt, was da los ist“, sagt Holub. „Dann kommt man auch ins Gespräch.“ Damit das passieren kann, steht die Plattform eben im Resselpark, im öffentlichen Raum.

„Wir würden uns wünschen, dass es dahingeht, dass man selbst auch seine Stimme erhebt, dass man selbst aktiv wird und nicht die Verantwortung den anderen zuschiebt und sich frustriert zurückzieht“, sagt Holub. „Dass man rauskommt, aus dem Modus, in dem immer geschimpft wird.“ Und hinein in einen, in dem miteinander geredet wird – und auch zugehört.

AUF EINEN BLICK

Die Plattform für Streitreden vor dem Haupteingang der TU Wien im Resselpark wird bis zum 16. Juni bespielt. Dafür wurden verschiedene Persönlichkeiten eingeladen, sich über Themen wie Machtstrukturen, neue gemeinschaftliche Werte oder Feminismus Gedanken zu machen. Die Idee stammt von den Künstlerinnen Christine Hohenbüchler und Barbara Holub, die das konkrete Projekt mit Studierenden an der TU erarbeitet haben. Das Projekt findet im Rahmen von 100 Jahre Frauenstudium und in Kooperation mit Kunst im öffentlichen Raum (KÖR) statt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2019)

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