Der Wind flüstert Jägerstätter ins Ohr

Die Geschichte beginnt im Alpenparadies: Der junge Bauer Franz (August Diehl) und seine Frau, Franziska (Valerie Pachner), schwelgen im Liebesglück.
Die Geschichte beginnt im Alpenparadies: Der junge Bauer Franz (August Diehl) und seine Frau, Franziska (Valerie Pachner), schwelgen im Liebesglück.(c) Iris Productions
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Terrence Malicks „A Hidden Life“ über den Gewissenskampf des österreichischen Wehrdienstverweigerers fließt elegisch dahin und bemüht sich um Universalität. Bei der Premiere in Cannes ließ sich Malick – natürlich – nicht blicken.

In den Wettbewerb von Cannes geladen werden und sich nicht dort blicken lassen, das kann sich nur einer leisten: Terrence Malick. Der US-Regisseur ist nicht auf Publicity angewiesen. Sein Ruf eilt ihm voraus, sein Werk spricht für sich, Superstars sind dankbar, mit ihm drehen zu können.

Die Aura des Außergewöhnlichen reicht in die 1970er zurück, als Malicks unverschämt poetische, pathetische und philosophische Filme „Badlands“ und „In der Glut des Südens“ erschienen sind. Exotische, die Schönheit des Augenblicks heischende Drehmethoden verliehen ihm den Nimbus eines Kinoschamanen. Mit seinem neuesten Film wandte er sich nun wieder dem klassischem Drehbuchkino zu. Seine Motivwahl dafür fiel ausgerechnet auf einen österreichischen Stoff: den Fall Jägerstätter. Eigentlich keine Überraschung: Der Widerstreit zwischen Glaube und Gesellschaft treibt Malick schon lang um; im Leben des oberösterreichischen Kriegsdienstverweigerers, der 1943 als „Wehrkraftzersetzer“ von den Nazis hingerichtet wurde, verdichtet sich dieses Grunddilemma auf dringliche Weise.

Tatsächlich erzählt „A Hidden Life“, der am Sonntag in Cannes Premiere gefeiert hat, wieder eine Geschichte. Verächter von Malicks Ästhetik werden damit trotzdem nicht warm werden. Schließlich fließt der Film ungeachtet seines linearen Handlungsverlaufs unbeirrt im elegisch-psalmodischen Tonfall dahin, eine Weitwinkelaufnahme nach der anderen – knappe drei Stunden lang.

Erhabene Alpenbilder – völlig kitschfrei

Es beginnt im Paradies. Der junge Bauer Franz (August Diehl) und seine Frau, Franziska (Valerie Pachner), freuen sich des Daseins im Schoß der Natur, schwingen ihre Sensen vor erhabener Alpenszenerie, spielen mit ihren Kindern. Tourismusbehörden könnten keine schöneren Almbilder kredenzen, doch die impressionistische Montage, das unverkrampfte Spiel und die Authentizität der Kulissen (gedreht wurde in Südtirol und in Jägerstätters Heimat, St. Radegund) zerstreuen jede Anmutung von Kitsch.

Bald brauen sich dunkle Wolken zusammen: Nach seiner ersten Einberufung beginnt der tiefreligiöse Jägerstätter, Zweifel an der moralischen Autorität seiner Vorgesetzten zu hegen. Bei der zweiten Einberufung hat er sich bereits entschieden: Sein Glaube verbietet ihm, dem Befehl Folge zu leisten.

Mit abgeschmackten Biopic-Konventionen hat „A Hidden Life“ nichts am Hut. Viele Details aus Jägerstätters Leben (etwa eine Motorradleidenschaft) hat Malick unaufdringlich einfließen lassen. Der Dialog, der weitgehend im Off erklingt, entnimmt markante Zeilen („. . . besser die Hände als der Wille gefesselt . . .“) wörtlich den Aufzeichnungen Jägerstätters. Gesprochen werden sie aber auf Englisch, was einen interessanten Effekt erzeugt – zumal manche Wortwechsel in den Dialekt kippen („Schleich di!“).

Ziel ist wohl Universalität, denn trotz einer klaren Verortung in der NS-Zeit geht es „A Hidden Life“ um Allgemeingültiges: die Verantwortung des Einzelnen im Angesicht des Bösen, das politische Gewicht innerer Überzeugungen, die Ethik des Widerstands. Dass Antisemitismus unerwähnt bleibt, kann man dem Film vorwerfen (Karl Markovics wettert als regimetreuer Bürgermeister bloß gegen „Immigranten“) – oder als bewusste Öffnung zur politischen Gegenwart auslegen.

Jene Nebenfiguren, die Jägerstätters Gewissenskampf im Gefängnis begleiten, haben allesamt archetypischen Charakter: Ein beschwichtigender Vikar (Tobias Moretti) erinnert an Pontius Pilatus, ein Mitgefangener (Franz Rogowski) erscheint als heiliger Narr, dem Pflichtverteidiger eignet Mephistophelisches. Die meisten Darsteller (darunter Johannes Krisch, Sophie Rois, Michael Nyqvist, Matthias Schoenaerts, Bruno Ganz) haben nur Kurzauftritte, zeigen aber trotzdem starke Präsenz dank Großaufnahmen ihrer prägnanten Gesichter.

Ein christlicher Film?

Viele führen den vermeintlich engstirnigen Protagonisten in Versuchung, von seinem Vorhaben abzulassen: Sein Opfer sei vergeblich. Doch Franziska steht zu Franz, und der Wind flüstert den Liebenden die Wahrheit ins Ohr. Sicher wird wieder gestritten werden, ob „A Hidden Life“ ein christlicher Film ist, doch das führt an seinem Kern vorbei. Diesen fasst das Schlusszitat der britischen Autorin George Eliot, dem der Film seinen Titel entnimmt: „Das Wachstum des Guten in der Welt hängt in gewissem Grade von unhistorischen Taten ab, und dass die Dinge für dich und mich nicht so schlecht bestellt sind, wie sie es hätten sein können, verdanken wir zum großen Teil jenen, die getreulich ein Leben im Verborgenen gelebt haben und in Gräbern ruhen, die niemand besucht.“

Filmfestspiele Cannes

Halbzeit. Noch bis Samstag findet an der Croisette die 72. Ausgabe des Filmfestivals statt. Um die Gunst der Wettbewerbsjury unter Präsident Alejandro G. Iñárritu rittern heuer 21 Filme, neben Terrence Malicks Jägerstätter-Biopic und dem österreichischen Beitrag „Little Joe“ von Jessica Hausner sind heuer viele namhafte Regisseure dabei, etwa Jim Jarmusch, Quentin Tarantino, die Dardenne-Brüder, Ken Loach und Pedro Almodóvar, dessen „Pain And Glory“ als Kritikerliebling gilt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2019)

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