Zero Points für den Sänger Jan Böhmermann

Auf der Homepage des ZDF (13 quälende Minuten!) und in Kurzversion auf YouTube konnte man Satiriker aus allen Ecken des Kontinents einen Song darbieten hören und sehen.
Auf der Homepage des ZDF (13 quälende Minuten!) und in Kurzversion auf YouTube konnte man Satiriker aus allen Ecken des Kontinents einen Song darbieten hören und sehen.(c) Screenshot
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Blöd gelaufen: Da erwarten Millionen Österreicher Sozialporno aus Ibiza und kriegen nur ein Lied.

Drei Tage vor der Wahl zum Europaparlament gibt es an dieser Stelle ein Outing: Die 28 Klubs des „Gegengiftes“ gehören zu den vehementen Befürwortern der EU. Wir standen seit 1958 zu unserem Mann in Brüssel, der eine immer engere Union versprach – von Hallstein bis Juncker. Nur ein paar unbeugsame Dörfler wagen es in anglophiler Verblendung und trunkenem Zustand, „Brexit“ mit fröhlichem Unterton auszusprechen.

Zugegeben, wir haben auch EU-Krisen, meist im Frühjahr und zum Eurovision Song Contest. Dann zerbricht unsere Einheit. Dieser Wettbewerb ähnle, so der Vorwurf, frappant den Mechanismen des Binnenmarkts: peinigend lange Sessionen, bizarre Statements, undurchsichtige Spielregeln – und am Ende gewinnt immer die Telefongesellschaft.

Nun aber haben solche Systemkritiker hart am Rand von Wien in den Nachwehen der ESC-Megashow noch mehr Aufwind erhalten: Der TV-Komiker Jan Böhmermann lockte via Countdown in sein Netz. Geschickte Andeutungen erweckten den Anschein, dass auf der Website dotheyknowitseurope.eu weitere Sensationen vom Video aus Ibiza zu erwarten seien. Das hat bereits den FPÖ-Chef und seinen besten Burschenschafterfreund zu Fall gebracht. Wer den gnadenlosen Umgang des Stars von „Neo Magazin Royale“ mit Türken, Kleinvieh, KanzlerInnen und Österreichern kennt, erwartete zumindest einen Sozialporno, wenn nicht noch Schärferes.

Und was wurde geboten? Eine abgefeimte Kritik an Europa. Auf der Homepage des ZDF (13 quälende Minuten!) und in Kurzversion auf YouTube konnte man Satiriker aus allen Ecken des Kontinents einen Song darbieten hören und sehen, der beim ESC wahrscheinlich gewonnen hätte: „Allein sind wir allein“, lautete der Refrain, den all diese Künstler in ihren Auftritt einflochten. Böhmermann sang für Deutschland (zero points), Peter Klien von der Bildungssendung „Willkommen Österreich“ für die Heimat, die aus „Knödel, Porsche und Hitler“ sowie einigen anderen Höhen, Tiefen und Katastrophen besteht.

Ja, Klien ist ein ausnehmend guter Reporter, der rasendste, den der ORF aufzubieten hat. Trotzdem erreichte er bei diesem royalen Euro-Liederabend hier in Erdberg laut inoffiziellem Publikumsvoting zu wenige Punkte für das Finale, das Armenien, Norwegen, Großbritannien und die Schweiz bestritten. Unter diesen Außenseitern setzte sich schließlich die Schweiz gegen England durch, vertreten durch Punk-Volkssänger Dominic Deville. Wir fürchten, sein böses politisches Lied ist derzeit auch weit über Zürich hinaus mehrheitsfähig. Er rappt: „Die Schweiz ist genial. Europa ist uns egal. Allein und gemein.“ Böhmermann, wir verachten dich für unser Verhalten!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2019)

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