Charles Leclerc, 21, ist in Monte Carlo geboren und aufgewachsen, er lebt hier und träumt vom ersten GP-Sieg für Ferrari. Gelingt diese Ausfahrt am Sonntag just vor der eigenen Haustüre, wäre es auch ein historischer Erfolg.
Monte Carlo. Mit bewegenden Worten nahm Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff vor dem Formel-1-GP von Monaco Abschied von Niki Lauda. „Wir haben einen Mentor, Berater, unseren Außenminister, vor allem aber einen Freund verloren“, sagte Wolff. „Mir fallen diese Worte so schwer.“ Lauda aber wird immer dabei sein – seine Unterschrift wird fortan auf den Silberpfeilen zu sehen sein.
Neben Mercedes hatten auch andere Teams im Gedenken an den am vergangenen Montag im Alter von 70 Jahren verstorbenen Dreifachweltmeister und Mercedes-Aufsichtsrat ihre Autos vor den ersten Trainings, die in Monaco am Donnerstag stattfanden, mit Erinnerungen geschmückt. Die Scuderia Ferrari hatte seinen Namen auf die Seitenkästen der Fahrzeuge von Sebastian Vettel und Charles Leclerc platziert.
Er kennt hier jeden Winkel
Leclerc steht bei diesem GP ohnehin im Blickpunkt: Er ist in Monte Carlo geboren und zu Hause. Der 21-Jährige ist hier aufgewachsen, kennt jeden Winkel – und liebt es, mit dem Fahrrad zur Strecke zu fahren. Es ist die einfachste und auch schnellste Methode in den Straßenschluchten, den engen Gassen und durch die unzähligen Tunnel mit Kreisverkehren.
Im Ort der Schönen, der Reichen und derer, die sich für beides halten, wurde er zum F1-Piloten. Zuerst für Sauber, ob der Aufnahme in die Ferrari-Driving-School landete er bei der Scuderia. Dass er am Sonntag (15.10 Uhr, live, ORF1, Sky) nach dem Heimsieg strebt, muss nicht betont werden. Es wär jedoch historisch: Wahlmonegassen siegten bei diesem PS-Klassiker seit 950 sonder Zahl. Ein echter Monegasse gewann in den bisher 65 Auflagen nie.
Dem Druck gewachsen
Bescheidenheit ist eine Kunst, Leclerc zeigt sie gekonnt wie seine Fahrkünste. „Um ehrlich zu sein, gibt es berühmtere Fahrer als mich, die hier leben“, sagt er. „Aber ich bin Monegasse, das ist schon etwas anderes.“ Sein Konterfei ziert Magazine entlang der Rennstrecke, die heuer schon seit dem Formel-E-Rennen vor zwei Wochen Stadt und Meer durch Tribünen und Zäunen trennt. Zerbrechen unter dem Druck, der auf ihm lastet, dürfte Leclerc kaum. Mehrfach betonte er seine mentale Stärke, tragische Ereignisse wie der Unfalltod seines Freundes Jules Bianchi (2014) oder Tod des Vaters (2017) hätten ihn geprägt. Um kognitive Fähigkeiten zu trainieren, arbeitet er auch mit dem F1-Arzt Riccardo Ceccarelli zusammen. „Man trainiert mit dem Computer, hat Sensoren auf dem Kopf. Sie sagen, was in deinem Kopf passiert.“
Leclerc, derzeit WM-Fünfter und in drei der fünf Saisonrennen per Teamorder eingebremst, stellt sich dem Duell mit Sebastian Vettel. Es ist seine große Chance. Selbstbewusst, talentiert – ehrgeizig. Ob seine Siegpremiere just vor der eigenen Haustüre gelingt? Unvergleichlich war jedenfalls bislang sein Karriereweg. Er war GP3- und Formel-2-Meister, bringt eine erstaunliche Bandbreite an Geschick, Auftreten und Eloquenz mit. Es fehlt nur noch ein F1-Sieg.
Im Training hatte aber Lewis Hamilton (Mercedes) erneut die Nase vorn. Leclerc war Vierter, er lag auf der Lauer. Wieder einmal vor Vettel. (fin)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2019)