Der Ibiza-Skandal hat die Ausgangslage für die heutige EU-Wahl in Österreich komplett durcheinander gewürfelt. Wird die Regierungskrise Wähler mobilisieren oder abschrecken? Wenden sich FPÖ-Anhänger von ihrer Partei ab oder tritt ein „Jetzt erst recht“- Effekt ein?
Österreich, elf Tage vor der EU-Wahl: Der Wahlkampf plätschert gemächlich dahin, die Umfragen verheißen seit Monaten den Regierungsparteien ÖVP und FPÖ sowie der SPÖ Zuwächse. Österreich, zehn Tage vor der Wahl: Ein auf Ibiza heimlich aufgenommenes Video zeigt, wie FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus der vermeintlichen Nichte eines russischen Oligarchen Staatsaufträge gegen verdeckte Parteispenden in Aussicht stellen. Die Aufnahmen aus dem Jahr 2017 lösen ein innenpolitisches Erdbeben aus, am Tag nach der Veröffentlichung ist die türkis-blaue Regierung unter ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz Geschichte. Der Ibiza-Skandal hat die Ausgangslage für die heutige EU-Wahl komplett durcheinander gewürfelt, das Votum wird zum Test für die Neuwahl im Herbst.
Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Wahl.
Wie ist die Ausgangslage?
Die vor dem Ibiza-Skandal durchgeführten Umfragen „können wir wegwerfen“, wie Meinungsforscher Peter Hajek erklärte, der Wahlsonntag werde zum „Ritt über den Bodensee“. Wahrscheinlich scheint, dass der Skandal FPÖ-Wähler, die ohnehin schon nicht besonders EU-interessiert sind, demobilisiert. Doch auch ein „Jetzt erst recht“-Effekt ist nicht ganz ausgeschlossen, wie ihn der freiheitliche Spitzenkandidat Harald Vilimsky beschwört. Die ÖVP hofft jedenfalls auf Stimmen aus dem blauen Lager - um die Kurz persönlich auch vor dem Koalitionsbruch schon warb, etwa als er sich als Verteidiger des österreichischen Schnitzels gegen Vorgaben aus Brüssel gerierte. Und die Opposition erwartet sich nach dem Ende der Koalition eine erhöhte Motivation ihrer Anhänger.
Bei der letzten Wahl 2014 hatte die ÖVP mit 27 Prozent Platz eins vor SPÖ und FPÖ verteidigt (siehe Grafik). Die Wahlbeteiligung lag bei 45 Prozent. Laut OGM-Chef Wolfgang Bachmayer könnte sie diesmal steigen, weil es die erste Wahl „nach diesem Skandal" ist - aber ebenso gut auch sinken, weil die Wähler frustriert sind.
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Wie verlief der Wahlkampf?
Wirklich harmonisch ging es im Wahlkampf zwischen den (damals noch) Koalitionspartnern auch „vor Ibiza“ nicht zu. ÖVP-Spitzenkandidat Othmar Karas war von Anfang an um Abgrenzung von der FPÖ bemüht, die ihn wiederum einen Vertreter der „alten“ Volkspartei schimpfte. Die ÖVP setzte dabei auf eine Doppelstrategie: Während Karas regelmäßig aus der türkis-blauen Linie ausscherte, sollte Karoline Edtstadler als Listenzweite die Kurz-Anhänger ansprechen. Vilimsky, der in seinen ersten TV-Auftritten noch mit Konsensbereitschaft punkten wollte, führte nach dem Koalitionsaus Rundumschläge gegen „linke Medien“ sowie gegen die anderen Parteien aus, vor allem gegen die ÖVP, die das Ende des türkis-blauen Erfolgskurses zu verantworten habe.
SPÖ-Frontmann Andreas Schieder hatte auch vor dem Auftauchen des Ibiza-Videos schon auf Regierungskritik und Warnungen vor einem Rechtsruck gesetzt, neben der Forderung nach Steuergerechtigkeit und einem europaweiten Mindestlohn. Neos-Listenerste Claudia Gamon stach als einzige Frau und jüngste Spitzenkandidatin hervor und fuhr einen dezidiert pro-europäischen Kurs (Stichwort „Vereinigte Staaten von Europa“). Für die Grünen „geht es um alles“, wie sie ihre Anhänger mahnten: Sie erhoffen sich am Sonntag die politische Auferstehung nach dem Ausscheiden aus dem Nationalrat 2017. Dafür schickten die Grünen Parteichef Werner Kogler und Starköchin Sarah Wiener ins Rennen und erklärten den Urnengang zur „Klimawahl“.
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Wer tritt noch an?
Neben ÖVP, SPÖ, FPÖ, Neos und Grünen, denen der Wiedereinzug ins EU-Parlament gelingen sollte, stehen noch zwei weitere Parteien auf dem Stimmzettel. Johannes Voggenhuber mit der von der Liste Jetzt unterstützten Initiative Europa und der KPÖ werden aber kaum Chancen auf die für den Einzug ins EU-Parlament benötigten 4,5 Prozent eingeräumt.
Wie läuft der Wahlabend ab?
Der heutige Wahlabend wird nicht nur außergewöhnlich spannend, sondern auch außergewöhnlich lang: Anders als bei früheren EU-Wahlen gibt es nach Schließung des letzten österreichischen Wahllokals um 17 Uhr noch keine Hochrechnung – die Wahlbehörden dürfen Ergebnisse nämlich erst nach dem EU-weiten Wahlschluss um 23 Uhr veröffentlichen. Die Austria Presse Agentur, der ORF und ATV veröffentlichen um 17 Uhr aber eine Trendprognose, die auf 5200 von Dienstag bis Sonntag geführten Interviews beruht. Das EU-Parlament wiederum hat für 18 Uhr eine erste Schätzung für sieben Länder, darunter Österreich, angekündigt. Die Stimmen der Briefwähler werden erst am Montag ausgezählt.
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