Nach dem blauen Ibiza-Skandal verliert ausgerechnet die FPÖ wenig, ihr Ex-Regierungspartner ÖVP triumphiert. Für die SPÖ ist das ein wahres Desaster.
Der klare Wahlsieg der ÖVP ist für fast alle Meinungsforscher und Journalisten überraschend, und damit eigentlich überhaupt nicht überraschend. Es gibt da eine gewisse Verlässlichkeit in den meisten Prognosen und Analysen vor Wahlen: Sie stimmen einfach nicht.
Zwei Entschuldigungen seien aber formuliert. Erstens hat Wahl-Tiefstapel-König Kurz aus Angst vor Bequemlichkeit der eigenen Funktionäre zwecks Mobilisierung immer wieder suggeriert und weitergeben lassen, dass der ÖVP-Wahlkampf nicht so richtig laufe wie gewünscht. Selbst Othmar Karas, sonst nicht von Selbstzweifeln geplagt, wirkte besorgt. Tatsächlich war bei manchen Türkisen die Begeisterung über den schwarzen EU-Erklärer mitunter überschaubar. Was sicher funktioniert hat: die Idee, die eigenen Kandidaten mittels Vorzugsstimmenrennens gegeneinander antreten zu lassen.
Viel mehr wiegt aber der zweite und entscheidende Grund für den Erfolg der türkis-schwarzen Liste. Die Entscheidung des Kanzlers, nach dem Ibiza-Video die Regierung zu beenden und in Neuwahlen zu gehen, wird von seinen (potenziellen) Anhängern begrüßt, eine Mitverantwortung für diverse FPÖ-Vorfälle vor dem Video wird offenbar nicht oder kaum bei ihm verortet.
Feiern werden die Freiheitlichen trotz ihrer Verluste – schon im Jahr 2014 war ihr Abschneiden verhältnismäßig bescheiden gewesen –, als wäre diesmal Platz eins gewonnen. Nach den verheerenden Aufnahmen aus der Finca mit dem langjährigen Parteichef Heinz-Christian Strache und seinem Adlatus hätte man als unbedarfter Beobachter aber einen schweren Verlust für die Partei erwarten dürfen.
Ein österreichischer Rechts-außen-Politiker, der offiziell gegen das korrupte „System“ kämpft, wird beim feuchtfröhlichen Verkaufsgespräch wichtiger Institutionen und millionenschwerer Millionenaufträge erwischt, und nichts passiert. Die Irrationalität und das Lagerdenken sind unter den FPÖ-Wählern offenbar so ausgeprägt, dass alles geht. Was muss eigentlich noch passieren, dass sich die FPÖ-Wähler deutlicher abwenden? Ein Video, das Strache mit einem Rabbiner, einem Imam und George Soros zeigt, wie sie gemeinsam das Schweinefleischverbot in Österreich sowie ein Abkommen zur Aufnahme von Tausenden Migranten unterzeichnen?
Die Grünen sind wieder da, haben sich tapfer zurückgekämpft. Themen wie Klimawandel und Ibiza halfen ihnen, der unermüdliche Einsatz des Frontmanns Werner Kogler macht das Ergebnis zu seinem persönlichen Erfolg. Wer das im Frühherbst bei den vorverlegten Nationalratswahlen wiederholen kann und soll, steht aber derzeit noch in den Sternen.
Den Neos scheint es zu gehen wie einst den Grünen, sie führten einen perfekten Wahlkampf, waren mutig, frisch und die heimlichen Umfragekaiser. Das steigerte die Erwartungen, die dann offenbar doch nicht so ganz erreicht werden konnten.
Die Niederlage des Sonntags mussten die Sozialdemokraten wie in vielen Ländern Europas einstecken: Andreas Schieder, der in den TV-Konfrontationen keine schlechte Figur gemacht hatte, konnte offenbar von der tiefen Krise und Ohnmacht der Partei nicht ablenken. Nur zum Mitschreiben: Der größten Oppositionspartei gelang es nicht, eine Woche nach dem seit Jahren größten Skandal mit dem Chef einer der beiden Regierungsparteien und dem Scheitern der gesamten Regierung Stimmen zu gewinnen. Im Gegenteil, die SPÖ verlor sogar leicht – und die größere Regierungspartei legt stark zu. Schlimmer kann es für die SPÖ eigentlich kaum werden.
Oder doch! Nicht einmal 24 Stunden später, am Montag, muss die SPÖ im Nationalrat den Wahlsieger Sebastian Kurz entweder aus dem Amt wählen oder ihn dort bestätigen. Beides kann sie außen und/oder innen nicht erklären. Andreas Schieder kann zumindest ins Exil nach Brüssel gehen. Durchaus möglich, dass in den kommenden Tagen nicht nur „der Sturz“ von Kurz ein Thema wird?
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2019)