Ein Sieg für „Kanzler Kurz“

Karas und Kurz
Karas und KurzAPA/LUKAS HUTER
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Vor dem Misstrauensvotum im Parlament sieht sich die ÖVP durch die Wähler bestärkt.

Wien. „Kanzler Kurz, Kanzler Kurz“, rufen die türkisen Fans, als ihr Parteichef am Wahlabend vor der ÖVP-Zentrale in der Wiener Lichtenfelsgasse ankommt. Vor dem heutigen Misstrauensantrag gegen den Kanzler im Parlament möchte die Partei sichtlich noch eine zentrale Botschaft aussenden. Nämlich, dass das Wahlergebnis eine Bestätigung dafür sei, dass Kurz Kanzler bleiben müsse.

Kurz lobt das „fulminante Ergebnis“, nachdem er die im Freien aufgebaute Bühne erklommen hat. „Ich bin selten sprachlos“, sagt der Kanzler vor Freude. Er findet seine Sprache aber auch dank des Wetters als Stichwortgeber rasch wieder. „Wir trotzen nicht nur dem Regen, wir trotzen allem anderen, was kommen wird“, betont Kurz. Damit ist das Misstrauensvotum und die Zeit bis zur Nationalratswahl gemeint.

Da geht es fast unter, dass am Sonntag eigentlich Europawahl war. Das Ergebnis für die ÖVP (34,9 Prozent laut dem vorläufigem Endergebnis inklusive Wahlkartenprognose) bedeutet, dass die Partei sieben statt bisher fünf Mandatare ins EU-Parlament senden darf. Doch in Zeiten wie diesen wird jedes Ergebnis schon mit Blick auf die Nationalratswahl im September betrachtet.

Aber auch Othmar Karas, der Spitzenkandidat der ÖVP bei der EU-Wahl, darf sich freuen. „Danke, danke, danke“, ruft er in das Publikum. Es sei ein Sieg der Glaubwürdigkeit. „Wenn wir uns nicht auseinander dividieren lassen, können wir jede Wahl gewinnen“, meint er. Und Karas lobt Kurz, der für für den Wahlsieg mitverantwortlich sei.

Ausgerechnet jener Karas, den die Parteiführung zu Beginn des Wahlkampfs so kritisch beäugte. Schließlich passte der verdiente, aber für wenig Neues stehende EU-Parlamentarier so gar nicht in die Erzählung der damaligen türkis-blauen Bundesregierung. Karas hatte sich sogar immer wieder kritisch gegenüber der FPÖ geäußert und auch manche von der Koalition stolz präsentierten Maßnahmen kritisiert. Etwa jene europarechtlich strittige Regelung, laut der in Österreich arbeitende EU-Bürger weniger Familienbeihilfe bekommen, wenn ihre Kinder in Heimatländern mit niedrigeren Lebenshaltungskosten leben.

Wahlkampf auf mehreren Fronten

Doch die Kandidatur von Karas war als Win-win-Situation gedacht. Hätte er außerhalb der ÖVP kandidiert, wäre die Volkspartei die Gefahr eingegangen, proeuropäische Wähler zu verlieren. Und Karas wiederum brauchte eine große Partei, die seinen Wahlkampf führt.

Auf Karas verlassen wollte sich die ÖVP aber nicht, sie fuhr eine Mehr-Fronten-Strategie. Intern wurde ein Vorzugstimmenwettbewerb unter allen Kandidaten ausgerufen. Ohne prozentuelle Hürden darf nach Auszählung aller Stimmen nur derjenige ins EU-Parlament einziehen, der die meisten Unterstützer fand. Und für die Fans der türkis-blauen Bundesregierung wurde explizit die Listenzweite Karoline Edtstadler ins Rennen geschickt. Sie sollte als Law-and-Order-Kandidatin für Stimmen sorgen. Am gestrigen Wahlabend sprach die Staatssekretärin auch von einer „klaren Bestätigung für den Kurs in Österreich, den wir nun auf europäischer Ebene fortsetzen wollen.“ Und der Kanzler sei durch das Votum „wirklich gestärkt“.

Ebendieser Kanzler hatte sich im EU-Wahlkampf als quasi dritter Motor für die ÖVP in die Schlacht geworfen. Erst noch staatstragend mit Ideen für eine EU-Reform, dann mit einem tiefen Griff in die Populistentrickkiste. So forderte Kurz pauschal die Streichung von tausend EU-Regeln, ohne, diese zu benennen. Und er verlangte, dass die EU sich nicht beim Schnitzel und den Pommes der Österreicher einmischen solle. Angesprochen war eine EU-Verordnung, die vor krebserregenden Stoffen schützen soll.

Am Ende schien fast nur noch Kurz im Wahlkampf präsent. Zwar erwischte ihn die blaue Ibiza-Affäre am falschen Fuß. Aber der Kanzler nutzte darauf geschickt seine infolge der Regierungsumbildung im TV übertragenen Reden, um auch Wahlkampf zu machen. So warnte er etwa vor Stimmen für die europäischen Sozialdemokraten, weil sie auch weit links stehende Parteien in ihrem Wahlbündnis hätten. Überhaupt sollte der ÖVP die Krise der FPÖ und das Koalitionsende helfen, um rechte Wähler ins Lager der Türkisen zu ziehen. Wer von den Freiheitlichen enttäuscht war, aber den Regierungskurs gut fand, musste nun zwangsläufig ÖVP wählen.

Abstimmung im rechten Moment

Auch Othmar Karas passte nun plötzlich wieder zur ÖVP-Linie, da sich Kurz stärker von der FPÖ abgrenzen musste. Und so können am Ende alle in der ÖVP zufrieden sein. Othmar Karas ist formal der große Wahlsieger. Und Sebastian Kurz kann im Parlament damit argumentieren, dass man ihn nach diesem Votum aus dem Volk nicht als Kanzler absetzen dürfe.

Wohl nicht zufällig hatte ÖVP-Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka die (von der SPÖ schon vor einer Woche eingeforderte Parlamentssitzung) erst für den Tag nach der EU-Wahl angesetzt.

Und falls Kurz heute doch sein Amt als Kanzler verliert, kann er nach dem EU-Ergebnis trotzdem optimistisch in die Nationalratswahl im September gehen. Das Koalitionsende mag für die ÖVP unangenehm gewesen sein, wahltaktisch kann sie von der FPÖ-Affäre aber profitieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2019)

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