Die polnische Regierungspartei PiS bleibt die klare Nummer eins, geht aber gewarnt aus der Europawahl hervor. Die Opposition hofft auf Rückenwind für Parlamentswahl im Herbst.
Warschau. Der „Gute Wandel“, den Jarosław Kaczyński Polen verordnet hat, ist nach wie vor aktuell. Bei der gestrigen Europawahl haben die regierenden Nationalpopulisten von Kaczyńskis Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) ihren Spitzenplatz behaupten können. Nach Hochrechnungen kam PiS auf 42,4 Prozent der Stimmen – gut zehn Prozent mehr als bei der Europawahl 2014. Dieser Vergleich ist aber insofern mit Vorsicht zu genießen, als die Nationalpopulisten seit ihrem Sieg bei den Präsidenten- und Parlamentswahlen 2015 Polen fest im Griff haben und in Warschau ohne Partner regieren können.
Dicht auf den Fersen der Regierungspartei war Sonntagabend die Europäische Koalition, das Bündnis der etablierten Oppositionsparteien links und rechts der politischen Mitte. Die Koalition erreichte demnach 39,1 Prozent der Stimmen. Auf Platz drei folgte die neu gegründete linksliberale Partei Wiosna (Frühling) des offen homosexuellen Robert Biedroń, der sich für die Trennung von Kirche und Staat einsetzt. Auf Platz vier mit voraussichtlich 6,1 Prozent der Stimmen kam das Bündnis Konfederacja rund um den rechtsextremen Europaabgeordneten Janusz Korwin-Mikke, der im Straßburger Plenum unter anderem Flüchtlinge als „menschlichen Abfall“ bezeichnet und Frauen attestiert hatte, „schwächer, kleiner und weniger intelligent“ als Männer zu sein.
Hohe Wahlbeteiligung
Für die Opposition, die den Konfrontationskurs der Regierung mit der EU angeprangert hatte, ist das gestrige Ergebnis zwar respektabel, aber nicht der erhoffte Durchbruch. Einerseits zeigt sich, dass die Europäische Koalition gemeinsam mit Wiosna das Potenzial dazu haben, PiS zu überholen. Andererseits bietet das Ergebnis auch Stoff zum Nachdenken. Denn angesichts der gestiegenen Wahlbeteiligung von 43 Prozent (von der bei Europawahlen normalerweise die Opposition profitiert) hatte man darauf gehofft, mit PiS gleichzuziehen oder die Regierungspartei sogar zu überholen. Doch dank der Wahlgeschenke, die die Regierung seit Jahresbeginn verteilt, gestaltete sich der Kampf um Platz eins schwieriger als erwartet.
Nichtsdestotrotz hofft die Opposition auf Rückenwind im Wahlkampf um das Parlament – gewählt wird voraussichtlich im Oktober. Zum einen könnte der Regierung die Nähe zur katholischen Kirche zum Verhängnis werden. Seit der Ausstrahlung eines Dokumentarfilms über Kindesmissbrauch durch Priester schwappt eine Welle der Empörung durch das Land – und PiS-Chef Kaczyński hatte sich Anfang Mai zum obersten Verteidiger der Kirche stilisiert. Zum anderen könnte mit EU-Ratspräsident Donald Tusk, dessen Amtszeit demnächst zu Ende geht, ein erfahrener Wahlkämpfer nach Polen zurückkehren. Tusks Rückkehr könnte sich allerdings auch als zweischneidiges Schwert erweisen – denn der Ex-Premier polarisiert die Wählerschaft und ist für PiS-Sympathisanten ein rotes Tuch. (la)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2019)