Die SPÖ will der gesamten Regierung von Kanzler Sebastian Kurz das Misstrauen aussprechen - und zwar einstimmig. Die Freiheitlichen werden dem ebenfalls zustimmen.
Nur einen Tag nach dem Sieg der ÖVP bei der EU-Wahl könnte Sebastian Kurz seinen Kanzlersessel verlieren. Weil der Parteichef seit der Aufkündigung der Koalition mit der FPÖ ohne Parlamentsmehrheit da steht, droht ihm bei der Sondersitzung des Nationalrats am Montag ein Misstrauensantrag. Die SPÖ will die gesamte ÖVP-Minderheitsregierung abwählen. Ob der Antrag mit einer einfachen Mehrheit durchgeht, liegt nun an der FPÖ. Und diese, so scheint es, hat sich entschieden: „Hier werden wir wohl zustimmen“, sagte der designierte blaue Parteiobmann Norbert Hofer Montagvormittag auf dem Weg in die Sitzung des blauen Klubs gegenüber dem ORF.
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Und er fügte hinzu: „Es wäre gut, wenn wir jetzt eine Regierung hätten, die von Experten regiert wird – die nicht politisch geführt wird.“ Dieser Experte sollte auf breite Akzeptanz stoßen und Ruhe ausstrahlen. Aber: Letztlich entscheide der Klub, wollte sich Hofer noch nicht zu 100 Prozent festlegen. Keine ganze Stunde später dann aber doch: Die FPÖ wird dem Misstrauensantrag der SPÖ gegen die gesamte Regierung zustimmen, verlauteten mehrere Freiheitliche.
Rendi-Wagner: Holzinger wäre „guter“ Übergangskanzler
Die SPÖ meldete sich beinahe zeitgleich zu Wort: „Ich empfehle den Abgeordneten der SPÖ-Parlamentsfraktion, Kurz und seiner Alleinregierung das Misstrauen auszusprechen“, teilte die rote Bundesparteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner in einer Aussendung mit. Denn, der Kanzler handele nicht im Interesse des Landes, sondern aus Eigeninteresse. Wenig später ergänzte sie: Der SPÖ-Klub habe sich einstimmig für den Misstrauensantrag ausgesprochen. Schon am Freitag hatte Burgenlands Landeschef Hans Peter Doskozil dieses Vorgehen im Interview mit der „Presse“ empfohlen.
Mit einem Vorschlag für einen Übergangskanzler wartete Rendi-Wagner am Montag auch gleich auf: Der frühere Präsident des Verfassungsgerichtshofs Gerhart Holzinger hätte für sie „gute Voraussetzungen“, doch liege das im Ermessen des Bundespräsidenten.
Kurz rechnet mit rot-blauem Misstrauen
Dass die Freiheitlichen Kurz nicht mehr vertrauen, haben sie bereits mehrfach geäußert - sowohl Hofer, Kickl, als auch EU-Spitzenkandidat Harald Vilimsky; wobei sich Hofer stets betont vage hielt: „Ich habe eine klare Tendenz", sagte er noch Sonntagabend und verwies auf die heutigen Beratungen.
Bundeskanzler Kurz selbst hatte schon am Sonntag gemeint, er rechne damit, dass „Rot und Blau den Misstrauensantrag am Montag im Nationalrat zustimmen werden". Durch das starke Abschneiden der ÖVP bei der Europawahl sah er sich aber „gestärkt". „Wir trotzen nicht nur dem Regen, wir trotzen allem anderen, was kommen wird", gab er sich am Wahlabend kämpferisch.
Sollte eine Mehrheit der Abgeordneten Kurz das Vertrauen entsagen, müsste Bundespräsident Alexander Van der Bellen einen Übergangskanzler ernennen, der die Geschäfte bis zur Nationalratswahl im Herbst führt. Ein erfolgreicher Misstrauensantrag wäre eine Premiere: 185 Mal wurde seit 1945 versucht, ein Regierungsmitglied aus dem Amt zu wählen, aber noch nie gab es dafür eine Mehrheit.
Neuregelung der blauen Klubführung
Detail am Rande: Kickl und Hofer dürften heute im Zuge der Klubsitzung auch zu den neuen Klubchefs der Freiheitlichen gewählt werden.
Und: Im Nationalrat gibt es heute einen blauen Neuzugang: Zu Beginn der Sondersitzung wird der Oberösterreicher Thomas Dim angelobt.
Abberufung und Angelobung
Nach der Bundesverfassung darf kein Regierungsamt unbesetzt bleiben. Daher folgt auf die Abberufung immer eine Neubestellung. Sollte heute im Parlament der gesamten Regierung das Misstrauen ausgesprochen werden, wird Bundespräsident Alexander Van der Bellen entweder diese vorübergehend für wenige Tage mit der Weiterführung der Amtsgeschäfte betrauen bis eine neue Übergangsregierung gefunden ist oder gleich eine neue Regierung ernennen.
Wenn nur der Kanzler abgewählt wird, wird Van der Bellen einen neuen Kanzler bestellen. Das könnte auch jemand aus der amtierenden Regierung sein. Rein formal ist die einzige Vorgabe, dass jene Person in den Nationalrat wählbar ist. Diese muss also österreichischer Staatsbürger und mindestens 18 Jahre alt sein. Sollte sie zu mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden sein, muss die Entlassung mindestens ein halbes Jahr her sein.
(hell/APA)