EU-Wahl - Eine Zusammenfassung in vier Punkten

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Es gibt Trends, die diese EU-Wahl auszeichnen, man kann sie an der Mandatszahl im nächsten EU-Parlament gut ablesen. Doch im Detail sehen die Ergebnisse in den einzelnen Ländern erstaunlich unterschiedlich aus.

Die Wahl des europäischen Parlaments ist eine komplizierte - denn die politische Situation von 28 Ländern ergibt 28 unterschiedliche Ausgangssituationen. In Spanien triumphieren Sozialisten, in Frankreich Rechtspopulisten, in Österreich die Konservativen, in Polen Rechtskonservative. Das Gesamtbild dieser Einzelerfolge bildet die Zusammensetzung des künftigen EU-Parlaments ab. Hier sieht man auf einen Blick, wie sich die Politik auf europäischer Ebene künftig ändern kann und muss. Der Versuch einer Zusammenfassung des gestrigen Wahltages in vier Punkten.

1) Die alten Volksparteien verlieren an Macht

Die gute, alte Große Koalition ist nun auch auf EU-Ebene Geschichte - zumindest als eingespieltes Duo. Für eine Mehrheit braucht es künftig eine dritte Partei im Boot. EVP (179 Sitze) und S&D (150 Sitze) haben zusammen 329 Mandate, für eine absolute Mehrheit von über 50 Prozent der 751 Sitze bedarf es mindestens 376. Als Partner kämen die Liberalen (Alde) infrage, die sich mit der französischen Präsidentschaftspartei En Marche und einem rumänischen liberalen Bündnis zu ALDE&R zusammenschließen wollen und zusammen 107 Mandate holten. Auch Neos ist Teil der Fraktion. EVP, S&D und ALDE&R erreichen eine absolute Mehrheit von 436 Sitzen.

Einzelerfolge etwa der Sozialisten in Spanien oder auch der ÖVP in Österreich stehen Wahlschlappen der jeweiligen Fraktionen in anderen Ländern entgegen: Deutschland etwa, wo die Union leichte und die SPD massiv Verluste hinnehmen musste. Extrem ist die Situation in Frankreich, wo es ein Match Liberale von Präsident Emmanuel Macron gegen Rechtspopulisten von Marine Le Pen gab. Die alten Parteien gingen vollkommen unter.

2) Die Mitte wurde breiter

Doch so unterschiedlich die Lage und der Ausgang der Wahl in den einzelnen Ländern auch sein mag, die politische Mitte geht gestärkt aus der Wahl - sie ist nur ein wenig bunter und breiter. Mit der wohl auf über 100 Mandate gewachsenen liberalen Alde-Fraktion (samt den französischen Macron-Mandataren) und der groß gewordenen Grünen-Fraktion (rund 70 Mandate) gibt es nun inklusive EVP und S&D vier große Parteien rund um die politische Mitte, denen man zutrauen kann, zusammenzuarbeiten. Innerhalb der Grünen aber auch der Alde gibt es natürlich unterschiedlichste Strömungen, doch es gibt Möglichkeiten für starke Mehrheiten innerhalb dieser vier Fraktionen, wenn man sich machtpolitisch einig wird und nicht im Posten-Schacher untergeht.

3) Andere Länder, andere Trends

Es gibt sie nicht, diese eine Überschrift der EU-Wahl - am ehesten natürlich noch jene von Punkt 1. Aber DIE Konservativen oder DIE Rechtspopulisten haben nicht gewonnen, in manchen Staaten aber durchaus. Und diese Unterschiede sind natürlich auf die nationalen Gegebenheiten und Persönlichkeiten zurückzuführen.

Geht es nach einzelnen Parteien sind die größten Gewinner der EU-Wahlen die EU-Skeptiker. Die erst vor kurzem aus dem Boden gestampfte britische Brexit Party stellt nach aktuellem Stand künftig 28 Sitze, wie aus der Sitzprognose der BBC am Montag hervorgeht. Genauso viele Abgeordnete schickt laut Prognose des Europaparlaments die EU-skeptische italienische Lega nach Straßburg. Das maue Ergebnis der AfD in Deutschland macht es wiederum unmöglich von einem europaweiten Trend zu sprechen. Und die 28 Brexit-Party-Mandate könnten bald schon Geschichte sein, wenn Großbritannien dann doch irgendwann aus der EU-Austritt.

Brexit Party und Lega sind somit die stärksten Einzelparteien im künftigen EU-Parlament. Auf ein Mandat mehr als Brexit Party und Lega, nämlich 29, kommt laut Schätzungen nur die konservative deutsche Union aus CDU und CSU.

Die stärkste sozialdemokratische Partei kommt aus Spanien. Die sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) von Ministerpräsident Pedro Sanchez wird 20 Abgeordnete ins EU-Parlament schicken. Deutschland trägt am meisten zur Fraktionen der Grünen bei, die europaweit zulegen konnten. 22 Mandate haben die deutschen Wähler der Partei der EU-Spitzenkandidatin Ska Keller eingebracht. Als ein "Signal für mehr Klimaschutz", beurteilte Keller ihren Erfolg.

4) Ibiza liegt in Europa und doch auch nicht

Und ein letzter Punkt noch. Die Affäre um das Ibiza-Video der FPÖ-Spitzenpolitiker Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus war international genau beobachtet worden. Es war auch Teil der Wahlkampfpositionierung - zumindest in Andeutungen. Die Kooperationspartner der FPÖ sahen Einzelfälle und nationale Angelegenheiten, deren Gegner versuchten das Bild eines generellen Problems der Rechtspopulisten zu zeichnen. Doch am Ergebnis geändert hat sich durch die Affäre kaum etwas: in Österreich vielleicht geringfügig, international schon gar nicht.

Was aber durchaus bemerkenswert war - und am Ibiza-Video auch sichtbar - ist die Tendenz zur Europäisierung des Wahlkampfes. Es dominieren zwar weiterhin nationale Themen und Befindlichkeiten, doch durch das Spitzenkandidatenprinzip (das bald schon wieder Geschichte sein könnte) oder überstaatliche Bündniss wie jenes von Salvini und Le Pen werden größere Ebenen der Politik erkennbar. Fraktionen, überregionale Themen und Gesichter sind mehr Thema als früher und Teil der allgemeinen Wahrnehmung in der Wahlkampf-Phase.

Österreich ist überrepräsentiert

Die Anzahl der Abgeordneten eines EU-Mitgliedslands richtet sich nach der Demografie. Deutschland als bevölkerungsreichster Mitgliedsstaat hat mit 96 Mandaten die Höchstgrenze erreicht. Die Zahl der Abgeordneten ist aber gleichzeitig nicht direkt proportional zu seiner Bevölkerungsgröße. "Degressive Stimmverteilung" heißt die Verteilungsformel, bei der kleinere Länder im Verhältnis überrepräsentiert sind. Abgeordnete eines bevölkerungsreicheren Mitgliedsstaates vertreten mehr Bürger als jene von kleineren Ländern. Ein deutscher Parlamentarier etwa repräsentiert rund 850.000 Bürger und damit mehr als 13 Mal so viele Wahlberechtigte wie sein maltesischer Kollege (ca. 65.000).

Im Vertrag von Lissabon wurde die Höchstzahl der Sitze im EU-Parlament mit 751 festgelegt, um das Haus noch arbeitsfähig zu halten. Mit dem EU-Austritt Großbritanniens haben die 73 britischen Abgeordneten ein Ablaufdatum. Nach dem Brexit wird die Zahl der Volksvertreter der 27 EU-Mitglieder auf 705 sinken. Österreich erhält dann ein Mandat dazu. Österreich stellt derzeit 18 Mandate, nach dem Brexit sollen es 19 Mandate sein.

(c) APA

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