Alt-Bundeskanzler Sebastian Kurz (32)

Die SPÖ stillt ihr Bedürfnis nach Rache. Und feiert damit ihren möglicherweise größten Erfolg in diesem Jahr. Für die FPÖ gilt annähernd das Gleiche.

So muss es früher den Konservativen mit Bruno Kreisky gegangen sein. Stets auf ihn fixiert, stets einen Schritt hintennach. Heute geht es den Sozialdemokraten so mit Sebastian Kurz. Stets auf ihn fixiert, stets einen Schritt hintennach. Und die Freiheitlichen haben sich mittlerweile dazugesellt. Nach dem abrupten Ende der so harmonischen Koalition haben sie Sebastian Kurz als Feindbild (wieder-)entdeckt. „Kurz muss weg!“, schrien sie laut auf dem Viktor-Adler-Markt. „Kurz muss weg!“, denken sie sich in der Sozialdemokratie schon länger. Nun ist es geschafft. Vorerst.

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Die SPÖ-Führung hat das Bedürfnis nach Rache gestillt. Das ihrer Funktionäre und auch ihr eigenes. Ein Erfolg der Funktionärspartei für die Funktionärspartei. Dazu passte das düstere Bild am Wahlsonntagabend in der „ZiB 2“. Das Setting weckte Assoziationen an die DDR kurz vor dem Untergang: Vorn die Vorsitzende, die sich am Mikrofon festhält, dahinter im Finstern die starr dreinblickende Apparatschik-Riege.

Man hat den Wählern deutlich gezeigt, was man von ihnen hält. Die Partei des Kanzlers, den sie seines Amts enthoben haben, hat Stunden zuvor eine Wahl mit über zehn Prozentpunkten Vorsprung auf den Zweitplatzierten, die SPÖ, gewonnen. Der Wähler hat Kurz offensichtlich nicht das Misstrauen ausgesprochen. Die SPÖ hat es im Verein mit der FPÖ getan. Warum eigentlich? Wegen des „egozentrischen Grundzugangs“, wie es in der Dringlichen Anfrage der SPÖ vor dem Misstrauensvotum im Parlament hieß. Na, das ist natürlich ein Argument.

Rot-Blau im Nationalrat

Weitere werden dann auch noch angeführt: In der Amtszeit dieser Bundesregierung sei die Sozialversicherung zerschlagen, die 60-Stunden-Woche eingeführt, der Verfassungsschutz international handlungsunfähig gemacht und die soziale Absicherung für kinderreiche Familien herabgesetzt worden. Über die meisten dieser Punkte kann man streiten, das mit dem Verfassungsschutz tatsächlich auf der Negativseite verbuchen. Ursächlich dafür verantwortlich war allerdings eher die FPÖ. Also jene Partei, mit der die SPÖ im Parlament gemeinsame Sache gemacht hat.

In allen Umfragen, veröffentlichten und internen, war die SPÖ bis zuletzt nah dran an der ÖVP, knapp unter 30 Prozent. Und laut Auskunft der Meinungsforscher habe der Ibiza-Skandal bei der Entscheidung der Wähler letztlich nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Was war es dann also, das die SPÖ in den vergangenen Tagen von den guten Umfragewerten zum tatsächlichen Endergebnis abstürzen ließ? Die Debatte um den Misstrauensantrag wäre ein heißer Tipp. Den meisten Bürgern wäre es nämlich egal gewesen, wenn die amtierende Regierung nun bis zum Wahltag weiteradministriert hätte.

Auch die FPÖ blickt gebannt auf Kurz und kann den Blick nicht abwenden. Und es spricht viel dafür, dass das im Wahlkampf so bleiben wird. Kurz fasziniert – die eigenen Anhänger, Teile der internationalen Publizistik, vor allem der deutschen – und polarisiert. Und während man bei der FPÖ noch das Gefühl hat, sie könnte auch mit eigenen Themen (also mehr oder weniger jenen, die ihnen Kurz im letzten abgenommen hat) in den Wahlkampf gehen, so beschleicht einen bei der SPÖ das Gefühl, als könnte die bisherige Kurz-Fixierung nahtlos in einen reinen Anti-Kurz-Wahlkampf übergehen.

Der Kurz-Hass der Linken

Der Kurz-Hass in Teilen der Linken ist echt. Das ist nicht nur für das gesamtgesellschaftliche Klima ein Problem, sondern auch für die SPÖ selbst: Denn dieser verstellt mitunter den klaren Blick. Den hat die Partei bei diversen Themen, wie der Migration, schon lang nicht mehr. Die sozialdemokratische Partei in Dänemark etwa schickt sich nach Zugewinnen bei der EU-Wahl an, im Juni auch die Parlamentswahl zu gewinnen. Mit einer Kehrtwende in der Zuwanderungspolitik, einem restriktiven Programm.

Fasziniert und abgestoßen zugleich. Und verärgert, weil der Typ mit seiner Masche dann auch noch die Wähler anlockt. So dürfte es den hartgesottenen Konservativen einst mit Bruno Kreisky gegangen sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2019)

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