Bei den Parlamentswahlen auf föderaler und regionaler Ebene siegten am Wochenende nationalistische Kräfte in Flandern, in Wallonien wurde die marxistische Arbeiterpartei plötzlich sehr stark. Die Regierungsbildung wird hart.
Brüssel/Den Haag. Im Königreich Belgien fanden am Sonntag nicht nur die Wahlen zum EU-Parlament statt: Parallel wurden das Föderale Parlament in Brüssel und die Regionalparlamente der Landesteile Flandern, Wallonie, der deutschsprachigen Gemeinschaft in Ostbelgien sowie der Hauptstadtregion Brüssel gewählt.
Die Ergebnisse der strukturell komplizierten Wahlen auf Regional- und Föderationsebene sind nach vorläufigen Zahlen vom Montag bemerkenswert und dürften das heterogene Land noch tiefer spalten. Denn während im niederländischsprachigen Flandern die extremrechten flämischen Nationalisten des „Vlaams Belang“ (VB) einen sensationellen Zuwachs errangen und die bürgerlich-nationale „Neue Flämische Allianz“ N-VA trotz Verlusten mit rund 25 Prozent stärkste Partei bleibt, sind im frankophonen Wallonien just die Kommunisten (PTB-PVDA) auf dem Vormarsch.
In Flandern verdreifachte der Vlaams Belang seinen Anteil von 5,9 Prozent auf wohl 18 Prozent und ist zweitstärkste Kraft. Auf Bundesebene stieg er von etwa 3,7 auf zwölf Prozent, das dürfte 18 statt bisher drei der 150 Sitze im Föderationsparlament ergeben. Mit ca. 16 Prozent bzw. 25 Sitzen im Föderationsparlament bleibt indes die N-VA stärkste Kraft Belgiens (rund 20% bzw. 33 Sitze bei der Wahl 2014). Bart de Wever, N-VA-Chef und Bürgermeister von Antwerpen, der im Wahlkampf den Vlaams Blok hart attackierte, sagte nach der Wahl: „Ich hab geschlafen wie ein Baby, eine Stunde schlafen, wach werden und heulen, schlafen, wach werden und wieder heulen.“
In Flandern kommen VB und N-VA nun zusammen auf 43 Prozent. De Wever (48) schließt eine Zusammenarbeit mit dem VB nicht mehr aus. Bisher gab es in Belgien einen sogenannten „Cordon sanitair“ um den VB: Keine Partei wollte mit ihm koalieren. Das könnte sich ändern – und VB-Chef Dries Van Langenhove bald Minister sein; zumindest in der flämischen Regionalregierung.
Eine „schwarze Flut“
Angesichts der Stärke der flämischen Nationalisten schreibt die Wirtschaftszeitung „L´Echo“ von einer schwarzen Flut“.
Wie üblich schwierig dürfte die Regierungsbildung auf nationaler Ebene werden. Nicht zuletzt, weil im französischsprachigen Wallonien die Kommunisten (PTB-PVDA) eine unerwartete Stimmenexplosion schafften und auf zwölf (bisher zwei) der 75 Sitze im dortigen Parlament kommen. Die dort traditionell starken Sozialisten (PS) fielen von 30 auf 20 Sitze, im Föderationsparlament von 23 auf 20.
Per ethnischem Saldo stellen flämische Parteien im neuen Parlament 84 der 150 Abgeordneten, wallonische 64. Übrige stellen zwei Abgeordnete. Die Sitzverteilung, die alle zehn Jahre durch königlichen Erlass festgelegt wird, spiegelt grob den Bevölkerungsanteil wieder. Flandern hat rund 6,5 Millionen Einwohner, Wallonien 3,6 Millionen; die etwa 77.000 Bewohner der deutschen Gemeinschaft zählen organisatorisch zur Wallonie.
König Philippe und Premier Charles Michel führten erste Gespräche zur Regierungsbildung – Michels liberale frankophone Partei Mouvement Réformateur kam auf nur etwa 7,5 Prozent (minus 2). Nach der Wahl 2010 hatte es sagenhafte 541 Tage gedauert, bis sich Sozialisten, Christdemokraten und Liberale beider Sprachgruppen auf eine Koalition einigten, um ohne flämische Nationalisten regieren zu können, 2014 stand die Koalition nach vier Monaten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2019)