Die Regierungspartei des Präsidenten wurde zwar nur knapp Zweiter hinter Le Pens Rechtspopulisten. Doch seine Chancen für eine Wiederwahl sind gut.
Paris. „Wer als Zweiter ankommt, kann nicht sagen, er habe gewonnen“. So kommentierte Frankreichs Premierminister Edouard Philippe das Ergebnis der EU-Wahl. Ähnlich Richard Ferrand, der Fraktionsvorsitzende der Regierungspartei in der Nationalversammlung in Paris. „Mit einem Punkt Rückstand kann man nicht von einem Sieg reden, aber auch nicht von einer Niederlage!“
Als die ersten Hochrechnungen für Frankreich eintrafen, waren den Anhängern von „La République en marche“ (LREM) die gemischten Gefühle in den Gesichtern abzulesen. Sie feierten keinen Erfolg, doch eine krachende Niederlage war es auch nicht.
Sein Hauptziel hat Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron verpasst, wenn auch nur knapp: um bloß 0,9 Prozent. Seine Partei blieb hinter den Rechtspopulisten von Marine Le Pen, die – wie schon bei der letzten EU-Wahl – als Erste durchs Ziel gingen. Diese Wette hat das Staatsoberhaupt verloren. Der Politologe Marc Lazar ist der Ansicht, Macron habe sich mit seiner Intervention in der Wahlkampagne „selber eine Falle gestellt“. Dramatische Folgen hat dies nicht für den Präsidenten.
Volksparteien zertrümmert
Denn zugleich hat er auf lange Sicht in der französischen Innenpolitik eine neue Polarisierung zwischen seinem liberal-proeuropäischen Lager und der nationalistischen Rechten installiert, welche die traditionelle Links-Rechts-Trennlinie ablöst. Falls es dabei bleibt, und das ist wahrscheinlich, hat er bei einer Wiederkandidatur 2022 beste Chancen – falls er in einer Stichwahl, wie schon 2017, gegen seine Lieblingsgegnerin Le Pen antreten kann.
Nach dem harten Sozialkonflikt mit den „Gelbwesten“ der vergangenen sechs Monate hatte Macron Schlimmstes befürchten müssen. Er musste bangen, auch von seinen eigenen Wählern bei der EU-Wahl abgestraft zu werden. Dieses Katastrophenszenario wurde an den Wahlurnen jedoch nur sehr beschränkt Wirklichkeit. Die Anti-Macron-Kampagne trug Früchte. Sie ist der Grund für die nach wie vor hohe Stimmenzahl für die Rechtspopulisten, die für sich beanspruchen dürfen, die stärkste, wenn nicht sogar einzige oppositionelle Volkspartei zu sein.
Der „Gelbwesten“-Faktor
Da aber die Partei Le Pens im nationalen Parlament nur sehr schwach vertreten ist und die ehemals mächtigen Konservativen oder Sozialisten vor einem Scherbenhaufen stehen oder gar um ihr Überleben bangen müssen, braucht sich Macron über die Fortsetzung seiner Innenpolitik keine großen Sorgen zu machen. Es sei denn, dass ihm „Gelbwesten“ oder andere Wutbürger einen Strich durch die Rechnung machen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2019)