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Nach der Europawahl nehmen die EU-Chefs die Zügel in die Hände

Wer wird die europäischen Institutionen in den kommenden fünf Jahren führen?
Wer wird die europäischen Institutionen in den kommenden fünf Jahren führen?(c) REUTERS (FRANCOIS LENOIR)
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Gipfel. Die Staats- und Regierungschefs treffen sich, um die Vergabe der Spitzenämter in Angriff zu nehmen.

Brüssel. Wer wird die europäischen Institutionen in den kommenden fünf Jahren führen? Und wann wird dieses Personalpaket geschnürt? Die Wahlen zum Europäischen Parlament haben eine komplizierte Gemengelage geschaffen: Europäische Volkspartei (EVP) und Sozialdemokraten (S&D) können erstmals nicht mehr gemeinsam bestimmen, sie benötigen die Liberalen und Grünen und somit erstmals ein personelles und inhaltliches Koalitionsabkommen.

Die beiden traditionellen Großparteien haben jeweils um die 40 Abgeordnete verloren. Liberale und Grüne hingegen sind die klaren Wahlsieger. Daraus leitet sich eine politische Dynamik ab, die auch in das Gremium des Europäischen Rats hineinspielt, im Rahmen dessen sich heute, Dienstag, die 28 Staats- und Regierungschefs in Brüssel zu einem informellen Arbeitsessen treffen, um das Wahlergebnis zu besprechen.

So paradox es angesichts des Umstands auch erscheinen mag, dass Emmanuel Macrons Partei La République en marche nur knapp Zweiter hinter dem rechtspopulistischen Rassemblement National von Marine Le Pen wurde: Der französische Staatspräsident wird bei diesem Dinner mit seinen 27 Pendants die Initiative übernehmen und darauf pochen, das umstrittene Spitzenkandidatenmodell und somit die Hoffnungen des EVP-Listenführers Manfred Weber zu begraben.

 

Reizfigur Viktor Orbán

„Wir finden, dass Angela Merkels bevorzugter Kandidat heute total disqualifiziert ist“, sagte Pascal Canfin, der als Nummer zwei von Macrons Liste ins Europaparlament einzieht, am Montagmorgen zum Radiosender France Inter. Die deutsche Kanzlerin müsse dafür sorgen, dass der rechtspopulistische ungarische Ministerpräsident, Viktor Orbán, samt seiner Partei Fidesz aus der EVP ausgeschlossen werde. Nur eine EVP ohne Fidesz sei in den Augen von Macron und folglich der Liberalen im Europäischen Rat und im Parlament als Partner für ein großes Personalpaket akzeptabel, fügte er hinzu.

Doch steht die Kanzlerin wirklich felsenfest hinter dem CSU-Mann Weber? Man darf es nicht nur angesichts der Verluste der Union bei der Europawahl bezweifeln. Ein Spitzenkandidat, der nicht einmal in seiner Heimat zum Stimmenmagneten wird, kann nur schlecht vor die EU-Chefs treten und den Anspruch erheben, von ihnen als Präsident der Kommission nominiert zu werden. Zudem hat Weber am Montag seinen wichtigsten Unterstützer im Kreis der Staats- und Regierungschefs verloren, nämlich Bundeskanzler Sebastian Kurz. Selbst wenn er von Bundespräsident Alexander Van der Bellen erst nach dem Europäischen Rat formal seines Amts enthoben werden sollte, hätte er in Brüssel keine Verhandlungsmasse.

 

Iberische Linksachse Sánchez–Costa

Bevor ein Einvernehmen über den Nachfolger von Jean-Claude Juncker hergestellt ist, muss zuerst jedoch ein neuer Präsident des Europaparlaments bestimmt werden. Das wird dieses Mal länger dauern als früher, auch wenn es spätestens zum 2. Juli, dem Tag der konstituierenden Sitzung in Straßburg, eine Übereinkunft der vier genannten Fraktionen geben muss.

Unrealistisch erscheint jedenfalls der Wunsch von Donald Tusk, dem Präsidenten des Europäischen Rats, schon beim formellen Europäischen Rat am 20. Juni über das komplette Personalpaket abstimmen zu lassen (dieses umfasst auch seine Nachfolge sowie jene von Federica Mogherini, der Hohen Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik, und jene von Zentralbankpräsident Mario Draghi).

Und anders als vor fünf Jahren wird Spanien dieses Mal ein gehöriges Wort mitreden. Die Abgeordneten der Partei des sozialistischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez stellen nun die größte nationale Delegation der S&D im Europaparlament, noch vor der schwer geschlagenen SPD. Unterstützt wird er von seinem portugiesischen Partei- und Amtskollegen, António Costa. Die beiden suchen auffallend offen die Nähe zu Macron: Sánchez war beispielsweise am Montag beim Präsidenten im ?lysée zum Diner.

Auf einen Blick

Die Staats- und Regierungschefs schlagen laut EU-Vertrag mit qualifizierter Mehrheit vor, wer Kommissionspräsident werden soll. Dabei sollen sie das Ergebnis der Europawahl im Auge haben und sich mit dem neuen Parlament ins Einvernehmen setzen; schließlich muss dieses mit einfacher Mehrheit zustimmen. Ein Automatismus, dass dies der Spitzenkandidat der stimmenstärksten Parteienfamilie wird, leitet sich daraus nicht ab.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2019)