Am Wahlabend war man zunächst erleichtert, dann aber auch ernüchtert. Eine mehr oder weniger stabile Anzahl an Stammwählern dürften die Freiheitlichen haben, jetzt muss man die Funktionäre für den nächsten Wahlkampf motivieren. Eine Strategie und einen Hauptgegner gibt es schon.
Wien. Am Wahlsonntag machte die FPÖ innerhalb weniger Stunden gleich mehrere Gefühlsstadien durch. Um 17 Uhr, als die erste Prognose ein Ergebnis um die 17,5 Prozent voraussagte, kam die Erleichterung: Sie sind also geblieben, die Stammwähler der Partei. Trotz des kompromittierenden Ibiza-Videos, trotz des Rücktritts von Heinz-Christian Strache. Irgendwann, als sich die Party vom Parlamentsklub in ein Wiener Lokal verlagerte, kam die Ernüchterung. Jener Parteichef, auf den man all die vergangenen Wahlabende gewartet hatte, ist Geschichte. Nur vereinzelt zeigten sich Spitzenfunktionäre auf der Veranstaltung, zum Teil wussten ehemalige Ministeriumsmitarbeiter noch nicht, ob und welchen Job sie in den nächsten Wochen haben werden. Es war eine Katerstimmung, ganz ohne Rausch. Das ist man in der FPÖ nicht gewöhnt.
Sicher, hieß es dann am Abend, man habe das Ergebnis auf dem Jahr 2014 halten können. Der Absturz, wie man ihn wenige Tage nach der Veröffentlichung des Videos vermutet hatte, ist ausgeblieben. Aber eigentlich hätte alles nach einem ganz anderen Plan laufen sollen. Nach der Nationalratswahl 2017 mit rund 26 Prozent war man schon erfolgsverwöhnt.
Wähler blieben Zuhause
Die Wählerstromanalyse von Sora im Auftrag vom ORF zeigten am nächsten Tag ein bedrohliches Bild für die Freiheitlichen: Jeder zweite FPÖ-Wähler bei der Nationalratswahl blieb am vergangenen Wahlsonntag daheim. Also gab man in FPÖ-Kreisen schon am Sonntag eine Sprachdiktion aus: „Wir starten jetzt die größte Wähler-Rückholaktion“, hörte man von Freiheitlichen an diesem Tag erstaunlich oft.
Doch bevor man die Anhänger in der Bevölkerung mobilisieren kann, müssen die eigenen Funktionäre motiviert werden. Dafür sollte Norbert Hofer am frühen Sonntagabend sorgen: Als der neue Parteichef in das Lokal einzog, brach lauter Jubel aus. Es folgte eine Phase der Hoffnung bei den Freiheitlichen. Der neue Parteichef machte sich allerdings gar nicht erst die Mühe, den Eindruck zu erwecken, er beschäftige sich noch länger mit der Europawahl. Beim Urnengang im September werde man noch „einige Prozentpunkte mehr schaffen“.
Wenig später versuchte auch Spitzenkandidat Harald Vilimsky, die Funktionäre aufzumuntern: „Die Leute“, die man als Wähler verloren habe, „die holen wir zurück – und zwar jeden Einzelnen.“ „Wenn du dir dein eigenes Leben anschaust, dann hast du Sonnen- und Regentage.“ Andere Parteien hätten jetzt also mehr Sonne. „Aber auch sie werden in ein Gewitter kommen.“ Der FPÖ könne man alle paar Jahre mal „das Haxl stellen, aber man kann diese freiheitliche Idee nicht kaputt machen“.
Und dann kam noch das letzte Gefühlsstadium an diesem Abend: Die Wut. „Sebastian Kurz hat ohne Notwendigkeit diese Regierung beendet“, sagte Vilimsky. Der ÖVP-Chef habe das Vertrauen der Freiheitlichen ausgenutzt und sich nicht an die Abmachungen gehalten. „Das wird er uns zurückbezahlen.“ So wie alle anderen Wunderwuzzis in Europa werde auch er noch entzaubert werden. Der ehemalige Innenminister und jetzige Klubobmann Herbert Kickl postete vor dem Misstrauensvotum an Kurz auf Facebook noch: „Des Kanzlers Loyalität gegenüber der alten ÖVP und ihren Machtzirkeln war leider größer als seine Loyalität gegenüber den Wählern und seinem Regierungspartner.“
Konkurrenz bei der Opferrolle
Aus Türkis wurde für die Freiheitlichen jetzt also Schwarz, aus einem Koalitionspartner der Hauptfeind im Wahlkampf. Die FPÖ zieht sich in ihrer geübten Opferrolle zurück: Wir gegen alle anderen. Das mobilisiert Funktionäre und Stammklientel. Im Wahlkampf könnte die FPÖ bei dieser Strategie allerdings Konkurrenz bekommen. Auch Kurz wird sich nach seiner Amtsenthebung als Märtyrer inszenieren.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2019)