„Kleine Germanen“: So erziehe ich mein Kind zum Rechtsextremen

Und dann steckt der Opa der kleinen Elsa das Ehrenzeichen der SS-Heimwehr Danzig an die Brust.
Und dann steckt der Opa der kleinen Elsa das Ehrenzeichen der SS-Heimwehr Danzig an die Brust.(c) Filmladen
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Was passiert, wenn du in der Überzeugung aufwächst, dass überall Feinde lauern, die das Vaterland bedrohen? „Kleine Germanen“ erzählt die Geschichte einer jungen Frau – und befragt Vertreter der Neuen Rechten, darunter Martin Sellner.

Der Opa ist lieb. Der Opa kommt, wenn Mama und Papa aus dem Haus sind, und spielt mit ihr. Es sind sehr lustige Spiele, eines funktioniert wie Verstecken, aber eigentlich geht es darum, den Feind zu überrumpeln und zur Strecke zu bringen. Elsa kann das gut, Feinde überrumpeln: „Du bist tot, du Boloschik!“, ruft sie. „Das heißt Bolschewik“, antwortet der Opa, stürzt lachend zu Boden und sagt: „Du hast mich besiegt!“ Weil Elsa so stark und schlau ist, bekommt sie das Ehrenzeichen der SS-Heimwehr Danzig.

Ihr Opa, so Elsa aus dem Off, war ihr „Ein und Alles“. Und das verstört. Haben wir nicht alle das Bild von schwarzer Nazi-Pädagogik im Kopf? Von Drill und Demütigung und Gewalt? Doch zumindest diese Erziehung zum Rechtsextremismus hin ist anders verlaufen. Mit sehr viel Liebe. Mit Wanderungen auf die schönen deutschen Berge und Gute-Nacht-Geschichten, die dann eben nicht von Dornröschen oder der Omama im Apfelbaum handeln, sondern von den gierigen Ratten, die Deutschland bedrohen. Das sind die Juden, sagt der Opa. Von ihnen träumt Elsa des Nachts. Sie sind riesig und wollen alles verschlingen.

Ja, Liebe. Und Angst, ganz viel Angst. Angst vor Juden, Angst vor den Amerikanern, Angst vor Muslimen, Angst um Deutschland. Dieses Deutschland gelte es zu beschützen.

Der Ausstieg ist schwierig

Der teilweise animierte Film „Kleine Germanen“ von Mohammad Farokhmanesh und Frank Geiger erzählt einerseits die Geschichte von Elsa: Von ihrem Aufwachsen mit dem Nazi-Opa, ihrem Teenager-Wunsch, Deutschland wieder „stark“ zu machen. Von der ersten Liebe zu einem strammen Rechten, der Asylantenheime anzündet und auf offener Straße Muslime verdrischt, und der Aufnahme in eine verschworene rechte Gemeinschaft, für die jeder „Jude, jeder Neger, jeder Fidschi einer zu viel“ ist.

Aber er erzählt auch von der Neuen Rechten bzw. lässt sie von sich selbst erzählen. Götz Kubitschek und seine Frau, Ellen Kositza, der Identitäre Martin Sellner, die NPD-Politikerin Sigrid Schüßler und andere sitzen in ihren Stuben und schwärmen davon, wie schön ihre Kindheit war, als sie frei durch Wald und Flur getollt sind. Sie wünschen sich, dass ihre eigenen Kinder auch so glücklich sein mögen. Sie reden von der christlichen Wertegemeinschaft, Disziplin, davon, dass ihre Kinder Rückgrat haben und eigenständig denken sollen – und dass Kindererziehung in Zeiten wie diesen kompliziert sei.

„Kleine Germanen“ ist ein schwieriger Film. Schwierig, weil die Animation verkünstelt ruckelt und eine seltsame Distanz zur Geschichte aufbaut. Schwierig, weil sich der Rechtsextremismus von Elsas Opa und von Elsas Mann nicht direkt mit dem Rechtsextremismus eines Sellner oder eines Kubitschek vergleichen lässt. Schwierig auch, weil die Befragten Kreide gefressen haben, wie immer, wenn sie nicht gerade vor Gleichgesinnten reden.

Doch andererseits gelingt trotzdem ein Einblick, man ahnt, was die heutigen Rechten von den alten unterscheidet und wie hermetisch dieses System ist. Vielleicht hermetischer als zu einer Zeit, da die Kinder mit Gewalt und offenem Druck zur rechtsextremen Gesinnung erzogen wurden. Was denn wäre, wenn eines ihrer Kinder sich der Antifa anschlösse, werden Kubitschek und Kositza gefragt. Kubitschek lacht. Die Vorstellung ist für ihn ganz offenkundig völlig grotesk. Doch dann werden beide ernst: So etwas sei unmöglich. Ganz und gar unmöglich. Das lasse ihre Art der Erziehung einfach nicht zu. „Da gibt es wenige Lücken für unsere Kinder.“ Das Selberdenken, es muss offenbar doch seine Grenzen haben.

Der Ausstieg, sagen befragte Pädagogen, gelinge Kindern aus rechtsextremen Familien praktisch nie. Sie müssten dafür mit ihrem gesamten Umfeld brechen, würden all ihre sozialen Kontakte verlieren. Wie es doch gelingen kann? Durch neue Erfahrungen etwa, fern der Heimat. Mohammad Farokhmanesh und Frank Geiger lassen einen Aussteiger zu Wort kommen, dem ein Austauschjahr in Kanada die Augen geöffnet hat. Nein, weiß er nun, es lauern nicht überall Feinde. Auch Elsa hat es geschafft. Zu einem sehr hohen Preis. Bei ihr ist die Angst vor dem gewalttätigen Ehemann irgendwann stärker als die Angst vor der Bedrohung durch die jüdische oder muslimische Weltverschwörung. Als er der Tochter den Klavierdeckel auf die Finger haut, weil sie ein Stück von Mendelssohn Bartholdy spielt, entscheidet sich Elsa endgültig, mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Seither lebt sie unter falschem Namen, versteckt, irgendwo in Deutschland.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2019)

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