Mangelberufe

Vergesst die AHS-Maturanten nicht

Marin Goleminov
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Sechs Wochen lang haben wir Berufe vorgestellt, für die in Österreich tausende Fachkräfte fehlen. Diese Woche weisen wir auf eine Personalreserve hin, die gern ignoriert wird.

Sie suche „händeringend“ junge Mitarbeiter, sagt die Personalchefin. Lehrlinge, Jungakademiker, eben alles. Wirklich alles?, fragt man. Wie schaue es denn mit AHS-Maturanten aus?

Nun, zwinkert einem die Personalchefin zu, die suche man natürlich nicht. Die könnten ja nichts. Jedenfalls nichts, was das Unternehmen brauche.

Dieser Dialog lief nicht nur einmal ab. Irgendwann gehörte er zum Standardrepertoire: Habt ihr auch Jobs für AHS-Maturanten? Die Antwort lautete immer nein.

Lehre, Uni, HTL – aber nie AHS

In den vergangenen sechs Wochen haben wir uns des Themas Mangelberufe angenommen. Von IT bis Pflege, von Gastronomie bis Öffentlichem Verkehr: Überall fehlt es an Nachwuchs.

Das kitzelt die Kreativität der Recruiter. Suchen sie künftige Facharbeiter, gehen sie in Neue Mittelschulen NMS und Social Media, stellen Matura nach der Lehre in Aussicht und gesponserte Führerscheine. In den Bundesländern werfen Konkurrenten lang gepflegte Animositäten über Bord und bilden gemeinsam aus, um den Nachwuchs in der Region zu halten. Besser kooperieren als durch die Finger schauen. Dem Image der Lehre tat all das gut.

Künftige „Führungspersönlichkeiten“ wiederum werden direkt vom Hörsaal abgeholt, mit Recruiting Bootcamps in exotischen Destinationen geködert und mit zusätzlicher Freizeit, in der sie sozialen oder sonstigen Herzensprojekten nachgehen können. Wegen der sinnstiftenden Arbeit – das spricht besonders Jungakademiker an.

Die dritte Gruppe, der die Aufmerksamkeit der Talent Scouts gilt, sind HTL- und HAK-Absolventen. Die haben „immerhin einen Beruf gelernt“ (Originalzitat).

AHS-Maturanten aber werden konsequent ignoriert. Nun, antworten Personalisten an dieser Stelle, AHS-Maturanten studierten doch ohnehin allesamt. Sie könnten gar nicht anders, eben weil sie keine Berufsausbildung haben.

Das stimmt nicht ganz. Von den derzeit rund 18.000 AHS-Maturanten eines Jahrgangs beginnen laut Statistik Austria 85,6 Prozent (15.408) innerhalb von drei Jahren ein Studium. Das brechen im ersten Jahr 9,5 Prozent ab (1464), innerhalb von zehn Jahren satte 36,2 Prozent (5577) – mehr als ein Drittel. Die sind immer noch jung, mit Teil-Hochschulbildung, einiger Frustration und AHS-Matura als höchstem Abschluss. Wie wär's, sich diese Arbeitsmarktreserve einmal anzuschauen?

Und gleich auch jene 14,4 Prozent AHS-Maturanten (2592), die gleich einsahen, dass die Reifeprüfung das Ende ihrer persönlichen Fahnenstange ist. Dazu kommt eine weitere Kohorte, deren Zukunft nicht erfasst wird: Seit Einführung der Zentralmatura geht nämlich die Zahl der AHS-Reifegeprüften kontinuierlich zurück, von 18.900 im Jahr 2014 auf 17.900 im Jahr 2018. Was wurde aus jenen, die an der Matura scheiterten?

Bundesheer oder Baby

Eine andere Statistik, diesmal vom AMS: Von allen 30.583 Hochschulabbrechern (AHS+BHS) des Jahrgangs 2015 hatten 18 Monate später knapp 63 Prozent einen Job (exakt 19.114). Zehn Prozent versuchten es mit einer anderen Ausbildung (3143), ein halbes Prozent war arbeitssuchend gemeldet (1678). Bleiben noch 22 Prozent „sonstige“, exakt 6652 junge Menschen. Die machten Bundesheer, gingen ins Ausland oder in Babykarenz. Schade um so viel Talent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2019)

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