Schuhe von Church’s: Der richtige Rahmen

Nachwuchs. Die Traditionsfirma bildet laufend neue Mitarbeiter aus.
Nachwuchs. Die Traditionsfirma bildet laufend neue Mitarbeiter aus.(c) Beigestellt
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Northampton nördlich von London ist eine Hochburg der gediegenen Schuhproduktion: Auch die rahmengenähten Modelle von Church’s entstehen in der Stadt.

Dass die „National Leather Collection" (ja, auch das gibt es in Großbritannien) in der 200.000-Einwohner-Stadt Northampton, ungefähr eine Stunde von London entfernt in den East Midlands gelegen, ihr Museum unterhält, kommt nicht von ungefähr: Northampton gilt als die Wiege der Leder herstellenden und verarbeitenden Industrien Englands. Immer noch finden sich hier die Produktionsstätten von zahlreichen Unternehmen – manche der Marken, die hier ihre Schuhe herstellen lassen, sind auf der ganzen Welt bekannt.

So auch die imposanterweise seit 1675 durchgehend existierende Firma Church’s, die seit Ende des 19. Jahrhunderts für ihre feinen, rahmengenähten Herrenschuhe bekannt ist. Mit dem Tätigwerden von Thomas Church erfolgte 1875 ein Quantensprung – übrigens verdanken Schuhträger akkurat seinem Zutun die Tatsache, dass industriell gefertigte Paare aus einem linken und einem rechten Schuh bestehen. Zuvor setzte man auf Symmetrie, was freilich die Anatomie des Fußes weitgehend unberücksichtigt ließ.

Nostalgie. Das Outfit der Arbeiter ist nicht mehr dasselbe, die Handwerkskunst sehr wohl.
Nostalgie. Das Outfit der Arbeiter ist nicht mehr dasselbe, die Handwerkskunst sehr wohl.(c) Beigestellt

Wo es klickt. Derlei Unachtsamkeit ist heutzutage bei Church’s kaum vorstellbar, die Marke hat, als Zugeständnis an anatomische Besonderheiten, ihre Modelle ja sogar in einer regulären, einer weiteren und einer extra weiten Ausführung im Angebot. „Bei den Damenschuhen und besonders bei Modellen, die für den asiatischen Markt gedacht sind, kommen noch andere Spezifika hinzu", sagt der langjährige Mitarbeiter Graham, der heute seine Besucher durch die Fabrik in typischer Ziegelbauweise führt.

Seit 1999 ist die Marke nicht mehr in Familienbesitz, sondern Teil der Prada-Gruppe: Das habe zwar neue Märkte erschlossen und das Produktionsvolumen insgesamt vergrößert, an der Herstellungsweise und dem britischen „Mindset" habe dies aber nichts geändert, beschwört hier jeder. Viele der Mitarbeiter arbeiten schon seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, für Church’s, die meisten sind – Routine ist erwünscht – mit immer demselben Produktionsschritt betraut. Die „Gentlemen of the factory", also die angesehensten unter den Fabriksarbeitern, sind für den Zuschnitt des Leders verantwortlich: Hier muss besonders genau und zuverlässig gearbeitet werden, und es gibt auch einen besonderen Namen für die Zuschneider. Als „clickers" kennt man sie hier, was von dem charakteristischen Geräusch des um die Kanten fahrenden Zuschneidewerkzeugs im mit Leinöl eingelassenen Holzbrett herrührt.

Traditionell. „Very British“ mutet die Produktionsstätte in Northampton an.
Traditionell. „Very British“ mutet die Produktionsstätte in Northampton an.(c) Beigestellt

Unglaubliche acht Wochen dauert es im Schnitt, bis ein Paar Schuhe die Produktionsstätte verlässt, bis zu 250 Arbeitsschritte werden verrichtet: Das reicht von der Vorbereitung des Leders über den Zuschnitt bis zu den einzelnen Etappen, die das – für höchste Qualität bürgende – Nähen des Rahmens umfasst und den Oberschuh mit der Sohle verbindet.

Aus Alt mach Neu. Verfechter der Konsumreduktionsdoktrin wird es freuen, dass die Marke einen eigenen Reparaturservice anbietet: Wegen der Verarbeitung ist es denkbar, dass einzelne Komponenten von in die Jahre gekommenen Schuhen ausgetauscht werden. Die endgültige Entscheidung, was reparabel ist und was nicht, treffen die Experten in Northampton – Anlaufstelle für Kunden ist jede Verkaufsstelle, von wo die Schuhe nach England geschickt werden.

Expansion. Seit 1999 ist man Teil der Prada-Gruppe und ein Global Player.
Expansion. Seit 1999 ist man Teil der Prada-Gruppe und ein Global Player.(c) Beigestellt

Die – derzeit fast obligate – Frage nach dem bevorstehenden Brexit und einer etwaigen Preissteigerung der Erzeugnisse außerhalb Großbritanniens beantworten die Mitarbeiter von Church’s äußerst gelassen. Über derlei macht man sich hier offenbar kaum Sorgen. Und was das Leder betrifft, das zu etwa drei Vierteln aus dem EU-Ausland eingekauft wird, sagt Graham: „Mittelfristig könnten hier Mehrkosten entstehen. Wir haben aber auf Vorrat eingekauft, und die Produktion ist zu denselben Bedingungen für mindestens ein halbes Jahr sichergestellt." Verwunderlich ist diese Ruhe ohnehin nicht: In fast dreieinhalb Jahrhunderten Firmenhistorie hat man schon ganz andere geschichtsträchtige Episoden überdauert.

Der Autor reiste auf Einladung von Church’s nach Großbritannien.

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