Das Inferno in Idlib: Wieder sind Spitäler im Visier

Verzweifelte Rettungs- und Bergungsaktionen nach Bombenangriffen in Idlib.
Verzweifelte Rettungs- und Bergungsaktionen nach Bombenangriffen in Idlib.APA/AFP/ABDULAZIZ KETAZ
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In der Rebellenprovinz würden syrische und russische Kampfflugzeuge bewusst Krankenhäuser bombardieren, vermutet die UNO.

Tunis/Damaskus. In Fetzen hängen die Decken herab, im verwüsteten Wartezimmer der Notaufnahme liegen die roten Plastikstühle auf dem Boden verstreut. Medikamentenregale sind aus den Wänden gerissen. Draußen im Bombenschutt steht ein ausgebrannter Krankenwagen, wie das kurze Video eines Augenzeugen zeigt.

Die Reste der lindgrünen Fassade des Al-Hikma-Spitals in Kafranbel ragen noch in den Himmel, das jüngste Ziel syrischer Raketen in der Rebellenprovinz Idlib. „Das Krankenhaus ist völlig zerstört“, bestätigte der örtliche Verwaltungsleiter. „Die Situation ist beängstigend“, schrieb ein junger Aktivist. Etwa ein Viertel der Einwohner sei bereits in Richtung Grenze geflüchtet.

Seit vier Wochen eskalieren die Attacken russischer und syrischer Kampfflugzeuge. 270.000 Menschen sind nach UN-Angaben auf der Flucht, über 250 Einwohner im Geschosshagel gestorben, darunter viele Kinder. Von einer „schrecklichen Lage für die Zivilisten“ sprach diese Woche der UN-Sonderbeauftragte für Syrien, Geir Pedersen.

22 Krankenhäuser und 25 Schulen wurden allein im Mai in Schutt und Asche gelegt. In Teilen des Rebellengebietes existiert praktisch keine medizinische Versorgung mehr. Der Schulbetrieb ist eingestellt. Moscheen sagen Ramadan-Gebete ab. Familien verbringen aus Angst vor den Raketen die Nächte im Freien.

In den Kliniken herrscht nervöse Anspannung, berichtete ein US-Fernsehteam, das in Idlib Augenzeuge der jüngsten Zerstörungen wurde. Verletzte würden sich in Krankenhäusern nur noch so kurz wie möglich behandeln lassen, weil die Todesgefahr dort am größten sei. UN-Nothilfekoordinator Mark Lowcock ließ durchblicken, die medizinischen Einrichtungen würden möglicherweise nicht zufällig, sondern mit Absicht bombardiert.

Bastion der radikalen Opposition

Drei Millionen Menschen leben in der letzten Bastion der Aufständischen im Norden, mehr als die Hälfte von ihnen sind Flüchtlinge aus anderen Teilen des Landes. Beherrscht wird das Oppositionsgebiet von der radikalen Allianz „Hayat Tahrir al-Sham“ (HTS), die der al-Qaida nahesteht. Seit Beginn des Jahres haben deren Kämpfer praktisch alle anderen, moderateren Gruppen der „Nationalen Befreiungsfront“ (NLF) unter ihre Kontrolle gebracht.

Gleichzeitig wachsen die Spannungen zwischen den drei externen Syrienmächten Russland, Iran und der Türkei. In Aleppo gerieten russische Militärpolizisten und iranische Milizionäre aneinander. Wegen Idlib knirscht es zwischen Moskau und Ankara.

Vor dem UN-Sicherheitsrat machte diese Woche die stellvertretende UN-Nothilfekoordinatorin, die Deutsche Ursula Müller, ihrer Empörung Luft. Drei Millionen Syrer in Idlib seien derzeit im Kreuzfeuer gefangen, erklärte sie. „Einige leben unter Bäumen und Plastikplanen auf dem nackten Boden.“ Sie warnte vor einem „vorhersehbaren und abwendbaren humanitären Desaster“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2019)

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