Der Konflikt zwischen Rom und Brüssel wegen des italienischen Haushalts spitzt sich zu. Die EU schickt Warnbriefe, Italien ignoriert sie – und will neue EU-Regeln.
Rom/Brüssel. Im Streit um Italiens angespannten Staatshaushalt erhöhen die Europäische Zentralbank und die EU-Kommission den Druck auf die Regierung in Rom. Am Mittwoch landete ein Warnbrief der Kommission bei Finanzminister Giovanni Tria. Darin verlangt die Behörde Erklärungen dafür, dass es „nicht genügend Fortschritte“ bei der Sanierung des Staatshaushalts gegeben habe. Der Schuldenberg der Italiener beläuft sich mittlerweile auf 130 Prozent der Wirtschaftsleistung. Erlaubt ist für Mitglieder der Währungsunion lediglich eine Staatsschuldenquote von 60 Prozent.
Der Brief gilt als Vorbereitung auf ein mögliches EU-Defizitverfahren, das Italien am Ende noch einmal eine Strafe über 0,2 Prozent der Wirtschaftsleistung bescheren könnte. Bis Freitag hat die drittgrößte Volkswirtschaft der EU nun Zeit, um auf den Brief zu antworten. Die Chancen, dass sich die Regierung aus populistischer Fünf-Sterne-Bewegung und rechtsextremer Lega tatsächlich auf einen konstruktiven Dialog einlässt, sind allerdings eher gering. Beobachter rechnen ohnedies damit, dass die EU kommenden Mittwoch ein Strafverfahren gegen Italien einleiten wird. Im Juli müssten die Finanzminister der EU dieses noch bestätigen.
„Recht auf Wachstum“
Vizepremier Matteo Salvini zeigte sich vom drohenden Verfahren wenig beeindruckt und bekräftigte seine Forderung, den Stabilitätspakt der EU aufzuweichen. „Meine ganze Energie wird eingesetzt, um diese alten Regeln zu ändern“, erklärte der Innenminister, dessen rechtspopulistische Lega bei den Europawahlen vergangenes Wochenende zur stärksten Kraft im Land aufgestiegen ist. Italien müsse das „Recht auf Wachstum und Zukunft“ zurückerlangen.
Für dieses „Recht auf Wachstum“ – und eine ganze Reihe an teuren Wahlversprechen – braucht Salvini Geld. Konkret sucht Rom 30 Milliarden Euro, um Steuern für Unternehmen und Familien in diesem Ausmaß senken zu können. Eine Finanzierung über den Anleihenmarkt ist angesichts des andauernden Streits mit der EU derzeit allerdings sehr kostspielig.
Ginge es nach Salvini, wäre all das nicht mehr sein Problem, sondern jenes der Währungshüter in Frankfurt. Wiederholt forderte der italienische Innenminister, dass die EZB künftig für Schulden der Euromitglieder garantieren solle. EZB-Ratsmitglied Olli Rehn erteilte dem Ansinnen gestern eine Absage: Eine Staatsfinanzierung durch die EZB sei verboten, sagte Rehn in London. „Die Lehre ist ganz offensichtlich“, sagte auch EZB-Vizechef Luis de Guindos. „Es ist sehr wichtig, die Haushaltsregeln zu respektieren.“ (auer/ag.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2019)