Tschechien: Kulinarisch-musikalisches Schlaraffien

Blick auf Brno von der Festung Spielberg/ˇSpilberk aus. Im Zentrum der Stadt die Kathedrale St. Peter und Paul.
Blick auf Brno von der Festung Spielberg/ˇSpilberk aus. Im Zentrum der Stadt die Kathedrale St. Peter und Paul.Arní
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Vor der Ostkonkurrenz müssen sich Wiens Opern- und Operettenhäuser nicht wirklich fürchten. Trotzdem erfreut ein Besuch in Brno – mit guten mährischen Weinen, Starobrno oder Rollbraten aus Huhn und Leber.

Was soll man von einer Stadt halten, die als Erstes einen Besuch ihrer Schutzräume anbietet? Dass ihre Bewohner, historisch betrachtet, oft Angst haben mussten? Ja und nein. Die Nationalsozialisten begannen mit dem Bau des Atombunkers von Brno, die Sowjets vollendeten ihn, heute kann man das gruselige „technische Denkmal“, wie es bezeichnet wird, besichtigen. Der Bunker habe bloß 1500 Menschen Platz geboten, die anderen wären gestorben, erzählt der Guide. Abwärts geht es auch ins Labyrinth unter dem Krautmarkt, wo das gleichnamige Gemüse gelagert wurde. Ob das mehrgeschoßige Gewölbekonvolut, das vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert errichtet wurde und in dem heute Ausstellungen stattfinden, auch als Fluchtort gedient hat?

Aber wer will schon bei Sonnenschein in die Grüfte? Brno hat doch auch vieles andere zu bieten. Etwa die Festung Spielberg mit ihrem Glockenspiel und ihrer Apotheke, die an die Wiener Hofapotheke erinnert, oder Mies van der Rohes Villa für die Industriellenfamilie Tugendhat. Vom Massentourismus überschwemmt mögen Prag und Krumau sein, das ruhigere Brno hingegen kann noch Besucher vertragen und versucht, sich auf vielerlei Weise zu profilieren. Beim kulinarischen Angebot hat man schon die Aufmerksamkeit der „New York Times“ oder des „Guardian“ erregt. Man kann gut essen in Brno, etwa im Kohout Na Viné oder im Retro Consistorium. Die lokale Küche ist schwer, man speist Lammbraten, Entenpastete oder Rollbraten aus Huhn und Leber. Einen Kontrast bietet das Bistro Soul. Alle drei Lokale liegen im Zentrum. Berühmt ist das Bier Starobrno, aber auch der mährische Wein mundet.

Die Opernhäuser im Osten locken Musikfreunde auch aus Wien. Staats- und Volksoper müssen sich aber nicht fürchten. Wiewohl das Niveau hoch ist: Wir sehen „La Gioconda“ von Amilcare Ponchielli, mit Leonardos Gemälde hat die Oper freilich nichts zu tun. „La Gioconda“ wurde 1876 an der Mailänder Scala uraufgeführt und bietet große Gefühle. Regisseur Tomas Pilar baute ein gespenstisches Karnevalsvenedig für dieses Werk, das durch Maria Callas im Gedächtnis blieb, sie sang die Titelpartie, und durch die oft aufgeführte Ballettnummer „Tanz der Stunden“.

Akrobatische Choreografie

Tags darauf steht Sergej Prokofieffs „Romeo und Julia“ auf dem Program, in einer akrobatischen Choreografie von Ballettchef Mario Radacovsky. Wegen der Verfolgung des Komponisten durch Stalin wurde das Ballett 1938 in Brno uraufgeführt. Mit heftigen Dissonanzen malt die Musik die Kontroversen zwischen Julia und ihren Eltern sowie den verfeindeten Clans. So exakt wie das Wiener Staatsballett unter seinem Chef, Manuel Legris, ist die Brünner Truppe nicht, aber Radacovsky bringt einen allseits beliebten Rockeraspekt in die Geschichte ein. Beide Aufführungen in der Oper haben stilistisch wenig mit deutschem Regietheater zu tun und erinnern daran, wie vertraut Österreichern die östliche Emotionalität ist. Sie speist sich aus der Volksmusik. Die Brünner Oper heißt Janáček-Theater, der Komponist steht als Denkmal vor dem weitläufigen modernen Gebäude mit viel Gold und Marmor aus den 1960er-Jahren.

Geboren wurde Leoš Janáček 1854 in einem stifterisch klingenden Ort namens Hochwald (Hukvaldy). Der Sohn eines Dorfschullehrers unterrichtete eine begabte Zwölfjährige – und heiratete sie. Die Ehe war nur mäßig glücklich, die Kinder kränkelten und starben früh. Janáček schrieb bekannte Opern wie „Katja Kabanova“, „Das schlaue Füchslein“, „Die Sache Makropolus“ und „Aus einem Totenhause“, seinen Durchbruch zu Lebzeiten hatte er mit „Jenufa“. In Brünn, aber auch in Hukvaldy gibt es Janáček-Museen. Brno will sich als Janáček-Zentrum stärker etablieren, alle zwei Jahre gibt es hier ein Festival, das dem Komponisten gewidmet ist, der nicht zuletzt durch seine Theorien über den Zusammenhang von Sprache und Klang heute als einer der großen Neuerer der Musik des 20. Jahrhunderts gilt. Bemerkenswert, seinerzeit war es unvorstellbar, dass in der Oper Tschechisch gesungen wurde, das aber ist essenziell bei Janáčeks Werken, die mit den Sagen und Märchen seiner Lebenswelt zu tun haben. 2020 findet das Janáček-Festival wieder statt, dabei werden auch Gastspiele aus anderen Ländern gezeigt. Brno war immer eine weltoffene Stadt, freiwillig oder gezwungenermaßen, Deutsche und Juden siedelten sich hier an, der II. Weltkrieg vernichtete diesen europäischen Melting Pot, dann kam der Kommunismus.

Jetzt, berichtet die Führerin, sei man glücklich mit der EU, die allen Konsum ermögliche, den man lang entbehrte, von Reisen nach Bibione bis H&M. Die Brünner schlendern durch glänzende Flagshipstores und Einkaufszentren, aber wer in die falsche Straßenbahn einsteigt, fährt durch dörflich anmutende Viertel mit Häusern, in die schon lang nichts mehr investiert wurde. Dort spricht auch niemand Englisch, anders als in den Hotels. Die Führerin berichtet auch von Immobiliendeals: Ein Luxushotel wurde mit Steuergeld renoviert und dann den Erben übergeben; an einem idyllischen See nahe dem Wellnesszentrum Maximus haben sich die Chinesen eingekauft und wollen einen großen Vergnügungspark errichten. Unwillkürlich denkt man – wie heute in vielen Weltgegenden: „Besuchen Sie Tschechien, so lange es noch steht.“

Die Reiseführer werben mit der bezaubernden Landschaft der Tschechischen Republik, sie warnen aber davor, das durch die Nazi-Zeit verpönte Wort „Tschechei“ zu verwenden. Wer eine Fremdsprache beherrscht, spricht Englisch, die österreichisch-ungarische Monarchie ist nur noch ein Etikett, wenn man auf den Spuren Kaiser Franz Josephs das Land erkunden will – was empfohlen werden kann. Die Tschechische Republik wirkt abseits der Städte noch sehr ursprünglich, ja urwüchsig, die Bevölkerung erscheint offener und freundlicher als in Ungarn, und durch die modernisierte Bahn ist das Land zwar gut erschlossen, die Pünktlichkeit lässt aber – quasi ein Relikt aus der Monarchie – zu wünschen übrig.

Infos: www.czechtourism.com/de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2019)

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