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Innenpolitik

Wie die neue Kanzlerin Karriere machte

Vom Bundespräsidenten aus dem Höchstgericht in die Hofburg eingeladen: die künftige Kanzlerin Brigitte Bierlein.
Vom Bundespräsidenten aus dem Höchstgericht in die Hofburg eingeladen: die künftige Kanzlerin Brigitte Bierlein.Die Presse/Jenis
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Bis eine gewählte Regierung antritt, soll Brigitte Bierlein Österreichs erste Kanzlerin sein. Die größten Schritte auf der Karriereleiter machte die bisherige VfGH-Präsidentin, nachdem sie überraschend dazu eingeladen wurde.

Und wieder war es ein Telefonanruf. Als Bundespräsident Alexander Van der Bellen die designierte erste Bundeskanzlerin einlud, ein paar Worte an die staunende Öffentlichkeit zu richten, erzählte Brigitte Bierlein, wie sie der Ruf in diese neue Funktion ereilte. In Form eines Telefonanrufs von Bundespräsident Alexander Van der Bellen nämlich. Zuerst sei sie überhaupt sprachlos gewesen, dann habe sie um ein paar Stunden Bedenkzeit gebeten. Schließlich habe sie zugesagt. Die bisherige Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) will „zum Wohl der Republik Österreich diese doch sehr verantwortungsvolle Aufgabe“ übernehmen, sagt sie.

Es war nicht das erste Mal, dass Brigitte Bierlein am Telefon zu einem Karriereschritt eingeladen wurde, der auch sie selbst überraschte. Auf die gleiche Weise wurde die bald 70-jährige Wienerin Anfang der 2000er-Jahre an den VfGH gerufen. Es war am Sonntag, dem 27. Oktober 2002, als sie gefragt wurde, ob sie Vizepräsidentin des Höchstgerichts werden wollte. Auch damals war die Zeit für eine Entscheidung knapp, denn schon am Tag darauf endete die Bewerbungsfrist, die zu nützen Bierlein nicht im Entferntesten eingefallen wäre.

Denn Bierlein war damals zwar eine Strafrechtlerin höchsten Ranges: Immerhin war sie, übrigens als erste Frau in der Geschichte auch dieser Institution, Generalanwältin in der Generalprokuratur des Obersten Gerichtshofs. Mit dem Verfassungsrecht, das am VfGH eine viel größere Rolle spielt als das Strafrecht, hatte sie aber nicht so viel am Hut.

Vertrauen von ÖVP und FPÖ. Von wem damals der Anruf kam, verriet Bierlein nie. Fest steht allerdings, dass die erste schwarz-blaue Koalition damals in ihren letzten Zügen lag – vier Wochen nach dem denkwürdigen Sonntag wurde der Nationalrat vorzeitig neu gewählt. Bierlein genoss also das Vertrauen von ÖVP und FPÖ. Es liegt nahe, dass die Schwarzen, die zur selben Zeit VfGH-Vizepräsident Karl Korinek zum Chef des Gerichtshofs aufrücken ließen, die FPÖ bei der Vize-Nachbesetzung ein Wörtchen mitreden ließen. Dass Bierleins Lebensgefährte, ein mittlerweile pensionierter Richter, dem der Ruf einer Nähe zur FPÖ anhing, dabei eine Rolle gespielt haben könnte, hat sie selbst vehement von sich gewiesen.
In der Justiz hatte Bierlein jedenfalls einen Mentor von ganz anderer politischer Seite. In den 1970er-Jahren fiel die junge Staatsanwältin, die ihren Gerechtigkeitssinn schon zu Schulzeiten zivilcouragiert gegenüber Lehrern ausgelebt hatte, dem Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien auf: Otto F. Müller. Der deklarierte Sozialdemokrat war bemüht, Frauen in der Justiz zu fördern – diese waren damals noch in der Minderheit, ganz besonders bei der Staatsanwaltschaft –, und Bierleins Fleiß entging ihm nicht. Müller holte Bierlein von heute auf morgen an die Oberstaatsanwaltschaft Wien.