Das Vertrauensproblem von Boeing

Die zu großen Triebwerke der 737 Max waren Teil des aerodynamischen Problems. Gelöst werden soll es mittels Software.
Die zu großen Triebwerke der 737 Max waren Teil des aerodynamischen Problems. Gelöst werden soll es mittels Software. (c) APA/AFP/GETTY IMAGES/STEPHEN BRA (STEPHEN BRASHEAR)
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Während weiter unklar ist, wann Boeings 737 Max wieder abheben darf, werden neue Probleme bei dem US-Konzern bekannt. Die Stimmung unter den Boeing-Kunden ist angespannt.

Wien. Es war der wohl denkbar ungünstigste Zeitpunkt für den US-Flugzeughersteller Boeing. Am Sonntagabend, als in der südkoreanischen Hauptstadt, Seoul, gerade das jährliche Treffen des internationalen Luftfahrtverbands IATA voll im Gang war, gab die US-Flugaufsicht FAA bekannt, dass bei Boeing-Maschinen bisher unbekannte Fehler aufgetaucht sind. Konkret müssen bei mehr als 300 Flugzeugen der 737-Baureihe Teile der Tragflächen getauscht werden, die bei Start und Landung des Flugzeugs für einen größeren Auftrieb sorgen sollen. Diese Teile können aufgrund von Produktionsfehlern instabil werden oder brechen.

Passiert dies, führe das zwar nicht zu einem Absturz der Flugzeuge, so die FAA weiter. Allerdings könnten die Maschinen dadurch beschädigt werden. Die Fluglinien müssten die Teile daher innerhalb der nächsten zehn Tage austauschen. Betroffen sind davon Flugzeuge des Typs 737 NG, der seit 1997 gebaut wird – und auch erneut Maschinen des Nachfolgemodells 737 Max. Jenes Unglücksflugzeugs, das erst vor zwei Jahren auf den Markt gekommen ist und bei dem zwei Abstürze im Oktober 2018 und März 2019 in Summe 346 Menschenleben gefordert haben, weshalb die 737 Max seither weltweit auf dem Boden bleiben muss.

Weitere Stornierungen

Für Gesprächsstoff in Seoul war jedenfalls gesorgt. Und die Boeing-Krise war naturgemäß auch das Hauptthema der ersten großen globalen Luftfahrtkonferenz seit dem Grounding der 737 Max im März. Dabei wurde ersichtlich, dass viele Boeing-Kunden angesichts der nach wie vor anhaltenden Krise zunehmend unruhig werden. Nicht alle gehen bereits so weit wie die aserbaidschanische Fluglinie Azal, die am Montag bekannt gab, einen Liefervertrag mit Boeing im Wert von einer Milliarde Dollar über die Lieferung von zehn 737 Max zu stornieren. Aber auch andere Branchenvertreter machten ihrem Unmut Luft.

So erklärte etwa Ed Bastian, Chef der großen US-Fluglinie Delta Airlines, dass Boeing es schaffen müsse, nicht nur von der FAA, sondern gleichzeitig auch von den Behörden in China und Europa eine Fluggenehmigung für die 737 Max zu erhalten. Nur durch eine solcherart konzertierte Aktion könne das fehlende Vertrauen wiederhergestellt werden, meinte Bastian. Eine Sichtweise, die in Seoul auch von Lufthansa-Chef Carsten Spohr geteilt wurde.

Denn es gehe nicht mehr nur darum, die Beamten der Flugsicherungsbehörden oder die Manager der Fluglinien zu überzeugen, dass das Flugzeug sicher ist, sagt Sumeth Damrongchaitham, Präsident von Thai Airways. Es gehe auch um das Vertrauen der Passagiere, die in das Flugzeug einsteigen müssen. Thai Airways überlegt zurzeit gerade, entweder die 737 Max oder das Konkurrenzmodell Airbus A320 neo zu kaufen. „Es bringt nichts, ein Flugzeug zu kaufen, mit dem später niemand fliegen will“, so Damrongchaitham.

Wann die bereits ausgelieferten 737 Max wieder starten dürfen, ist nach wie vor unklar. Boeing hat bereits im Mai erklärt, das notwendige Software-Update für das System MCAS, das für die Abstürze verantwortlich gewesen ist, fertiggestellt zu haben. Die FAA verlangt allerdings weitere Daten von Boeing, bevor mit den Zertifizierungsflügen begonnen werden kann.

August oder Weihnachten?

Boeing soll den Kunden daher eine Flugfreigabe für August in Aussicht gestellt haben. Ein Zeitplan, der von Brancheninsidern allerdings als ambitioniert angesehen wird. „Bevor sie nicht alle Regulatoren an Bord haben, wird es nicht funktionieren. Egal, wie gut sie glauben, das Problem in Ordnung gebracht zu haben“, erklärte beispielsweise Emirates-Chef Tim Clark. Er rechnet mit der Flugerlaubnis erst zu Weihnachten. (jaz/ag.)

Auf einen Blick

Am 10. März stürzte in Äthiopien eine 737 Max der Ethiopian Airlines ab. Da die Ursache jener eines indonesischen Flugzeuges im Oktober 2018 ähnelte, wurde kurz danach weltweit ein Flugverbot ausgegeben. Als Ursache gilt ein Softwaresystem, welches das Flugzeug beherrschbarer machen sollte, weil die Aerodynamik sich infolge sparsamerer Triebwerke negativ gegenüber dem Vorgängermodell veränderte. Die Kosten der Krise betragen laut Boeing bereits mehr als eine Milliarde Dollar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2019)

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