Neuwahlen als Chance für Wissenschaft und Bürgergesellschaft

Neuwahlen könnten zum taktisch brillanten Befreiungsschlag für die Zukunft und gegen alles ewig Gestrige werden. Jede neue Regierung muss aber zuallererst aufhören, die NGOs als Gegner zu behandeln.

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Diese Lage erlaubt keinen unpolitischen Kommentar, denn die Politik bestimmt die Rahmenbedingungen auch für die Wissenschaft. Natürlich geht es um Geld, aber auch um die Freiheit, welche die Wissenschaften brauchen. Daher erscheint es paradox, dass ausgerechnet schwarz–blaue Regierungen immer wieder die Wissenschaften voranbringen. Nach einem ersten Sprung unter Wolfgang Schüssel und seinen blau-orangen Spießgesellen, zog mit den folgenden großen Koalitionen unter roten Kanzlern wieder ein Jahrzehnt Stillstand ein. Es gab daher ein großes Aufatmen, als endlich mit Sebastian Kurz und Heinz Faßmann die dringende nötige finanzielle Nothilfe für Unis und Grundlagenforschung floss und die Ankündigung einer Exzellenzoffensive für den heurigen Herbst erfolgte. Daraus wird aber nun wohl nichts werden.

Was war passiert? Mit Ibiza reichte es Kanzler Kurz im Einklang mit den meisten Österreichern und die blaue Regierungsbeteiligung war Geschichte – hoffentlich für längere Zeit. Aus der Perspektive einer zukunftsorientierten Wissenschaftspolitik kann dies einen guten Neuanfang im Herbst bedeuten, ohne Blau oder Rot als Bremser; die Blauen haben ihre Regierungsunfähigkeit wieder einmal offenbart und die Roten sind zu sehr von der Rolle, um rasch und konstruktiv wiederzukommen. Wahrscheinlich wird Türkis gewinnen und auch die Neos, die schon lange durch exzellente Sachpolitik auffallen. Die Grünen könnten stärker denn je ins Parlament zurückkommen, wenn sie in den kommenden Monaten endlich mit glaubwürdigem Personal ihre Umwelt-Kernkompetenz vermitteln. Es zeichnet sich also eine Koalition zwischen Türkis und Pink ab, vielleicht mit grüner Beteiligung.

Viel Grund zum Aufatmen und für Optimismus also, wären damit doch Österreich und auch die Wissenschaften für längere Zeit aus der Geiselhaft blauer Paranoia, brauner Einzelfälle und roter Rückwärtsgewandtheit befreit. Die baldigen Neuwahlen könnten so zum taktisch brillanten Befreiungsschlag für die Zukunft und gegen alles ewig Gestrige werden. Österreich hätte damit eine echte Chance, international den Anschluss nicht zu verlieren. Es lebt die Hoffnung auf echten Fortschritt, der sich als ein Mehr an Wissen, Bildung, Frieden, Freiheit und Wohlstand definiert, wie übrigens höchst faszinierend Jan Martin Ogiermann in seiner „Biografie der Zukunft“ (Brandstätter 2019) schildert.

Dazu wird der strahlende Narzissmus von Kurz & Co aber nicht ausreichen. Das Wesensmerkmal der eben überwundenen türkis-blauen Regierung war ja leider ihr kaum aufgeklärter Absolutismus, das schamlose Zurückdrängen der Zivilgesellschaft. Jede neue Regierung muss daher zuallererst aufhören, die NGOs als Gegner zu behandeln. Diese Interessensvertretungen der freien Bürger sind die Essenz der modernen Demokratien, sie treiben die gesellschaftlichen Entwicklungen und sind darum den Herrschenden nicht immer angenehm. Sie sind aber nicht die Feinde, sondern potenziell wichtige Partner und Ressource für jede demokratisch legitimierte, fortschrittsorientierte Regierung. Auch im Sinne der Wissenschaften erwarte ich mir daher, dass die kommende Regierung den Geist der Freiheit durch Beteiligung der Bürger und ihrer Institutionen pflegen wird.

Kurt Kotrschal, Verhaltensbiologe i. R. Uni Wien, Wolf Science Center Vet-Med-Uni Wien, Sprecher der AG Wildtiere/Forum Wissenschaft & Umwelt.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2019)

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