Debüt des Rappers Slowthai: Seelenfrieden findet er nur im Traum

„Nothing Great about Britain“, findet Tyron Frampton – so heißt der Rapper mit bürgerlichem Namen. Aufgewachsen ist er in einer Sozialwohnung am Rand der Industriestadt Northampton.
„Nothing Great about Britain“, findet Tyron Frampton – so heißt der Rapper mit bürgerlichem Namen. Aufgewachsen ist er in einer Sozialwohnung am Rand der Industriestadt Northampton.(c) Method Records
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Der britische Rapper Slowthai zeichnet auf seinem großartigen Album, „Nothing Great about Britain“, ein bedrückendes Bild seiner Heimat. Und verleiht den Abgehängten eine Stimme.

Bereits auf seiner ersten Single, „Jiggle“, rappte Slowthai jene Phrase, die heute als Titel seines Debütalbums fungiert (und als Tattoo seinen Bauch ziert): „Nothing great about Britain“. Das war im März 2016, drei Monate bevor Großbritannien für den Austritt aus der EU stimmte. Seine Meinung hat sich nicht geändert. Immer wieder benutzte er dieses Wortspiel in Songs über ein Land im Brexit-Taumel. Gipfelnd im Titelstück seines Albums, „I wear chains like my granddad did in slavery“, rappt der 24-Jährige über hart-synkopierte Beats und dystopisch schwellende Synthesizer. Es folgt ein Rundumschlag gegen Nationalismus und Rassismus. Und erneut ein Wortspiel: „Grass ain't always greener where the other side lives.“

Aufgewachsen ist Tyron Frampton, so sein bürgerlicher Name, auf der Verliererseite. In einer Sozialwohnung am Rande der Industriestadt Northampton, nördlich von London. Das beklemmende „Northampton's Child“ skizziert die bewegte Familienchronik: „Northampton General 1994/Mixed race baby born/Christmas well a week before/Mum's 16, family's poor.“ Wenn Slowthai vom Stiefvater erzählt, einem Alkoholiker, der fremdgeht, auch, als sein Bruder im Sterben liegt, spürt man den Zorn in seiner Stimme. Die unheilvollen Streicher verstummen nur in Passagen über seine Mutter. Dann wird aus der Geschichte vom täglichen Überlebenskampf eine Liebeserklärung: „Only Queen/Raised me up and kept me clean“.

Mit Songs wie diesen porträtiert Slowthai auch die von Armut bedrohte Arbeiterklasse, die Abgehängten ohne Lobby. „Twelve hour shifts all week“, um über die Runden zu kommen, das kaputte Gesundheitssystem, Drogen, Kriminalität, Klassenunterschiede: Slowthai beleuchtet die sozialen Ränder mit einem Realismus, der an The Streets erinnert. Meist reichen ihm wenige Worte: „Parents minted, Mayfair, couple dogs“, schon weiß man im Song „Doorman“, dass das Mädchen, das im Club wartet, aus bestem Haus stammt. Doch der Türsteher lässt den Working-Class-Jungen nicht ein. „Doorman, let me in the door“, skandiert Slowthai zu stürmischen Schlagzeug, hyper-gereiztem Bass und kreischendem Lärm. Ein packender Song, der wie kein anderer seiner Punk-Attitüde auch musikalisch Ausdruck verleiht.

Ein Hang zum fieberhaften Aufschrei

Andernorts lässt er genuin britische Club-Stile wie UK-Garage und Grime nachhallen. Letzterer eignet sich mit seinen düsteren, aggressiven Klängen für sein Bild von Großbritannien. „I'm no dizzee, just a boy in da corner“, zitiert er Grime-Pionier Dizzee Rascal und dessen epochales Debütalbum. Mit ihm teilt Slowthai den Hang zur Übererregung, zum bisweilen fieberhaften Aufschrei. Kontrapunkt ist der beseelte Groove von „Gorgeous“. Die Geschichte über fünf Freunde auf gestohlenen Fahrrädern endet in Handschellen: „Five man deep and we're all in cuffs“, rappt er zu prägnantem Piano-Loop und gesampelten Frauenstimmen.

Seelenfrieden findet Slowthai nur im Traum: „I feel peace of mind when I'm dreaming of a life I ain't living“, heißt es in „Peace of Mind“. „Missing“ wiederum klingt mit sinistrer Orgel wie ein überdrehtes Klagelied: „No one's calling, no one ever listens“. Zumindest diesen Zweifel zerstreut „Nothing Great about Britain“: Dass ihm niemand zuhört, ist nach diesem meisterhaften Album ausgeschlossen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2019)

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