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Künstliche Intelligenz sucht Körper

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Wer KI nur mit einem künstlichen Gehirn assoziiert, greift zu kurz. Algorithmen brauchen in einer physischen Welt auch Körper.

Nur bei 13 Prozent der weltweiten KI-Anwendungen findet sich heute bereits ein physisches Gerät, ein Roboter als Teil der Entwicklung. Der Ansatz, von dem dabei die Rede ist, folgt der Grundidee einer „Embodied Artificial Intelligence“, zu deutsch: Verkörperte künstliche Intelligenz. Die zentralen Ideen dahinter sind Körperlichkeit und Situiertheit. Was darunter verstanden wird, erklärt der australische Informatiker und Kognitionswissenschaftler Rodney Brooks, der als Vater und klassischer Vertreter dieser KI-Entwicklung gilt: „Die Roboter besitzen Körper und erfahren die Welt direkt. Ihre Aktionen sind Teil einer dynamischen Kommunikation mit der Umgebung. Die Roboter befinden sich in der Welt und haben nicht mit abstrakten Beschreibungen derselben zu tun, sondern mit dem Hier und Jetzt, das ihr Systemverhalten direkt beeinflusst.“ Brooks und den Forschern der verkörperten KI geht es darum, Software mit einem physischen Körper auszustatten und zu untersuchen, wie dieser Körper in die reale Umgebung passt.

Als Leitlinie dient die Überlegung, dass Intelligenz genauso ein Teil des Körpers ist wie das Gehirn. Durch die Anwendung dieser Logik auf künstlich intelligente Systeme wollen die Forscher deren Funktionalität verbessern. Während sich herkömmlich KI auf Datenströme stützt, um die physische Umgebung zu kategorisieren, verwenden verkörperte KI-Systeme zusätzliche Informationen, die sie von Sensoren beziehen.

Was der Mensch etwa mit seinen Augen und Ohren sinnlich erfasst, wird bei Robotern durch Kameras und akustische Sensoren eingefangen. Verkörperte KI-Systeme, so die Protagonisten, könnten helfen, eine KI aufzubauen, die in der Gesellschaft funktioniert, indem sie die physische Umgebung und Situationen berücksichtigt, um so eine tiefere Datenanalyse zu ermöglichen. Autonome Fahrzeuge und intelligente Roboter zum Beispiel benötigen eine sehr große Wahrnehmungstiefe, um sich in einer komplexen realen Welt zurechtzufinden. Die KI wird nicht mehr bloß mit einem künstlichen Gehirn verglichen.

Software wird „sensibel“

Das Experimentieren mit der Verkörperung von Software, die dank ihrer sensorischen Fühler „sensibel“ wird, soll ein neues technologisches Zeitalter einläuten. Als vordergründige Anwendungsgebiete gelten Prozessautomatisierung, autonome Antriebstechnik sowie eine neue interaktive Generation von Chatbots und Robotern.

Mit zunehmender Komplexität und Automatisierung der Technik werden Roboter zu Dienstleistern der Industriegesellschaft, und mit den wachsenden Schwierigkeitsgraden der Dienstleistungsaufgabe wird die Anwendung von KI‐Technik unvermeidlich. Humanoide Roboter sollten direkt in der menschlichen Umgebung wirken können, in der alles auf menschliche Proportionen abgestimmt ist – von der Breite der Gänge über die Höhe einer Treppenstufe bis hin zu Positionen von Türklinken.

(c) Getty Images/iStockphoto (AndreyPopov)

Motorische Aufgaben wie Menschen erledigen

„Für nicht menschenähnliche Roboter (z. B. auf Rädern und mit anderen Greifern statt Händen) müssten also große Investitionen für Veränderungen der Umwelt ausgeführt werden. Zudem sind alle Werkzeuge, die Mensch und Roboter gemeinsam benutzen sollten, auf menschliche Bedürfnisse abgestimmt“, schreibt der deutsche Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Klaus Mainzer in seinem Buch „Künstliche Intelligenz – Wann übernehmen die Maschinen?“. Eine große Zielsetzung für humanoide Robotern ist, dass diese sich frei in normaler Umgebung bewegen, Treppen und Hindernisse überwinden, selbständig Wege suchen, nach einem Sturz beweglich bleiben, Türen betätigen und auf einen Arm gestützt Arbeit erledigen können. Schlussendlich soll ein Roboter motorische Aufgaben ähnlich wie Menschen erledigen.

Fußball, nicht Schach

Das endgültige Ziel wäre ein humanoider Roboter, der sich den Lebensraum mit Menschen teilt und mit ihm effizient und unfallfrei zusammenarbeitet. „Dazu sind kognitive Fähigkeiten notwendig. In der Kognitionswissenschaft wird dabei zwischen formalem und körperlichem Handeln unterschieden“, so Mainzer. Schach ist zum Beispiel ein formales Spiel mit vollständiger symbolischer Darstellung, präzisen Spielstellungen und formalen Operationen. Fußball ist wiederum ein Beispiel eines nicht-formalen Spiels mit Fähigkeiten, die von körperlichen Interaktionen ohne vollständige Repräsentation von Simulationen und Operationen abhängen. Es gibt zwar auch Spielregeln, aber Situationen sind wegen der körperlichen Aktion nie exakt identisch und daher auch nicht beliebig reproduzierbar.  Herkömmliche KI ohne Körper kann den Fußball nicht beherrschen. Und was für eine Spielewelt wie die des Fußballs gilt, lässt sich auf jede Form von komplexer Umgebung oder kollektiv „bespieltem“ Handlungsraum umlegen.

Große Technologiekonzerne und Start-ups rund um die Welt arbeiten daran, die verkörperte KI in den diversesten Business-Bereichen voranzutreiben. Laut PwC-Prognosen werden Produktehersteller verkörperte KI-Systeme immer stärker nutzen, um Produktdesigns in Echtzeit zu ändern und um in Kombination mit 3D-Druck-Prototypen Endprodukte stärker, leichter und effizienter zu machen. Matthew Lieberman, Advisory Marketing Leader bei PwC. ist überzeugt: „Ich würde darauf wetten, dass Marktführer in den Bereichen des Gesundheitswesens, der Automobilindustrie, des Einzelhandels und des Unterhaltungssektors bereits am Ball sind.“ Verkörperte KI sei ein Weg in eine ebenso intelligente wie produktive Zukunft, eine in der menschliche und künstliche Intelligenz sich die Hand reichen.

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